Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Fingerbreit tief, richtig?«
»Ja, und zwar, wenn die Kastanienbäume blühen. Vorher ist noch nicht die richtige Zeit. Ich sehe, es mag eine Weile her sein, aber du hast auch einmal im Garten gearbeitet.«
Sie traten durch die Toröffnung im Verhau. Gnevka schien Alenas prüfenden Blick zu bemerken. »Der hält nicht viel aus. Aber die Leute fühlen sich sicherer, verstehst du? Sie haben ihn gebaut, als ich zwei war, ich kenne es nicht anders. Damals gab es einen Überfall, und das Dorf hatte nicht einmal einen Zaun.«
»Sie haben euer Vieh gestohlen?«
»Nicht ein Tier. Mutter erzählt ständig davon. Sie behauptet, daß es Linonen waren, obwohl die unserem Volk doch abgabepflichtig sind. Ist wahrscheinlich Unsinn, aber sie will den Dialekt gehört haben. Mein Vater ist bei dem Angriff ums Leben gekommen. Es muß mit einem Gefangenen zu tun gehabt haben. Waren gerade Männer aus Zwerin mit ihm hier bei uns. Sobald die Angreifer ihn in ihrer Hand hatten, haben sie sich zurückgezogen.«
»Sind viele gestorben?«
»Acht Männer, drei Frauen. Das ist nicht viel, aber für ein kleines Dorf wie Kamenica macht es einen verheerenden Unterschied.«
Ein lautes Grunzen ließ Alena zusammenschrecken. Neben dem ersten Haus, in einer von einem Zaun umgebenen Grube, wühlte ein Schwein die Nase in den matschigen Boden, ein zweites sah Alena aus kleinen, wütenden Augen an. Es war hochbeinig, schüttelte den langen, keilförmigen Kopf und erstarrte zu einem erneuten Drohblick. Die Stehohren und der kräftige Borstenkamm auf der Rückenlinie zuckten. Noch nie hatte sie ein so großes Schwein gesehen. Es mußte spüren, daß sie sich fürchtete, roch sicher ihreAngst. Kräftige, gelbe Hauer ragten aus dem Maul des Tieres.
»Was ist? Willst du mit dem Keiler kämpfen?«
»Sva… Radigast bewahre mich!« Alena ging einen Schritt zurück. Immer noch funkelte sie das Tier böse an. »Warum habt ihr die Schweine im Dorf und laßt sie nicht im Wald nach Eicheln und Bucheckern graben?«
»Die Schweine sind im Wald. Das hier sind nur die Zuchttiere.«
»Schaut er jeden so wütend an?«
»Vielleicht stört es ihn, wie du aussiehst. Du mußt dich wirklich waschen. Komm, wir gehen zum Bach.«
Ein Gerber, der unter einem Strohdach am Tisch saß und Gürtelriemen schnitt, sah auf und musterte Alena. Um ihn herum lagen Werkzeuge, Schuhsohlen aus Rinderhaut und zugeschnittene Schuhoberteile aus weichem Schafs- und Ziegenleder. Er nahm nicht für einen Wimpernschlag die Augen von Alena; selbst als sie ihn längst passiert hatten, spürte sie, wie sich seine Blicke in ihren Rücken bohrten.
Von einem Haus fauchte wütend eine Katze herunter. Sie hatte sich vor dem Hund geflüchtet, der nun unten auf und ab lief und sie nicht aus den Augen ließ. Oder fauchte sie Alena entgegen, der Feindin?
»Habt ihr viele Tiere hier?«
»Du meinst Katzen?«
»Katzen und andere.«
»Solange sich die Mäuse und Ratten so vermehren, brauchen wir die Katzen. Die Hunde jagen ihnen nur nach, wenn sie Langeweile haben oder schlecht gelaunt sind. Ansonsten besitzt der Zupan noch einige Gänse, und dieser und jener hat ein paar Schafe oder eine Ziege, die Milch spendet. Das Übliche.«
Einer plötzlichen Regung folgend, fragte Alena: »Hast du Kinder?«
Sie sah die Imkerin zusammenschrecken. »Dort drüben geht es zum Bach. Wasch dich in Ruhe. Ich hole inzwischenMutter vom Feld. Komm dann einfach in unser Haus – es ist das letzte auf der linken Seite.«
Wohl keine Kinder. Gnevkas Mann war gestorben, und sie hatte keine Kinder von ihm. Alenas Brust zog sich zusammen; es fiel ihr schwer zu atmen. Wie hatte sie es wagen können, eine obodritische Siedlung zu betreten? Was, wenn ihr der Name des Dreiköpfigen vollständig herausrutschte und nicht nur zu einem Drittel? So etwas mußte schiefgehen. Sollte sie fortlaufen? Aber es würde den Verdacht nur erhärten, den Gnevka womöglich bereits hegte, wenn sie plötzlich verschwand – man würde Alena mit Hunden suchen, sie foltern.
Wie konnte sie die Imkerin nach einem Weg fragen, in die Burg hineinzugelangen? Sie mußte ihr offen den Hals darbieten, wie eine Hündin, die sich unterwirft. Entweder würde die Obodritin zupacken und sie zerfleischen, oder sie würde ihr helfen.
Mit einem Ruck saß der Anführer der Tempelgarde auf dem Rappen auf. Die Trense in Ardagostes Maul war ein Knochen, und weitere feine Knöchelchen schmückten die Zügel und das Zaumzeug, hoben sich hell vom schwarzen Fell des
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