Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Leben ein und nimmt es ihm wieder, wann es ihm gefällt. Wenn ich Swaroschitch opfere, wird Gott meinen Namen aus dem Buch des Lebens streichen.«
Alena befreite sich aus der Umarmung des Hünen. Sie trat einen Schritt zurück, sah ihn an. »Und wenn du es nicht tust, streicht er dich auch. Möchtest du wissen, wie sie Menschen töten in Rethra? Ich habe es
einmal
gesehen, als Kind, und dieses eine Mal hat mir genügt. Sie schlagen ihnen die Hände und Füße vom Körper, jedes Glied einzeln. Die Gequälten brüllen und winseln. Blut fließt über den ganzen Platz, und die Menschen sehen zu mit finsterer Miene. Erst zum Schluß wird dem Opfer der Kopf abgehauen.« Sie atmete heftig. »Ich will nicht … ich will nicht, daß sie das …« Der Mund begann zu zittern, sie hob die Hand, um ihn zu halten, wollte weitersprechen, aber konnte es nicht.
Mit festem, ruhigem Blick sah Embricho sie an. »Es wird nicht geschehen.« Er nahm sie bei den Schultern und zog sie langsam näher. Als sie dicht vor ihm stand, drückte er sanft seine Lippen auf ihre Stirn.
Das Zittern legte sich. Wie eine warme Hand lag der Mund des Hünen auf Alenas Gesicht, und sie entspannte sich, weil sie ihm glauben wollte.
Embricho löste sich. »Ich weiß, wie wir die Mission Tietgauds zu einem erfolgreichen Ende führen werden.«
Tief aus dem Wald drang ein Heulen an Alenas Ohren: erst ein hoher Ton, der sich brach, und dann ein langsames, klagendes Absinken. Wölfe.
19. Kapitel
Mit reglosem Gesicht beobachtete Nevopor, wie der Wein aus dem Becher spritzte. Chotebąd goß mit zuviel Schwung ein, und er hielt den Krug hoch erhoben, anstatt nahe an den Becher heranzugehen. Hunderte kleiner Weintropfen landeten auf dem Tisch und wurden vom Holz aufgesogen.
»Einfach unfähig«, murmelte Nevopor.
Der junge Mann nahm erschrocken den Krug zurück. »Was hast du gesagt, Herr?«
»Nichts.«
»Verzeihung, ich habe dich nicht verstanden. Habe ich zuviel eingegossen? Wolltest du den Wein mit kühlem Brunnenwasser verdünnen? Ich hole es dir, wenn du das wünschst.«
Wie angenehm war es mit Donik gewesen. Donik war immer ruhig geblieben, gleich, was geschah. Dieser neue Knecht – dienstbeflissen war er, hektisch. Es hätte Nevopor nicht gewundert, wenn er im nächsten Augenblick den Becher vom Tisch gestoßen hätte, versehentlich, bei einer übereilten Bewegung. »Es ist nicht deine Aufgabe, Wünsche zu erraten, die ich weder geäußert noch gedacht habe.«
»Ja, Herr.«
»Und gieße nächstesmal mit weniger Schwung den Wein in den Becher. Halte den Krug niedriger, verstanden? Du solltest den Dreiköpfigen bitten, daß ich draußen im hellen Sonnenlicht keine Flecken auf den weißen Seidenranken meines Mantels finde. Entdecke ich einen roten Tupfen, den du mir darauf gespritzt hast –«
»Verzeih mir, Herr!« Die Stimme Chotebąds jagte hinaufzu hoher Bestürzung. »Oh, bitte verzeih mir! Soll ich dir einen anderen Mantel bringen und diesen hier waschen?«
»Du hörst mir nicht zu. Habe ich etwas von Waschen gesagt?«
»Nein.«
»Dann sprich gefälligst nicht davon. Ich weiß wohl zu befehlen, wenn ich etwas wünsche, und brauche keine Vorschläge von dir.«
»Ja, Herr. Es tut mir sehr leid, Herr.«
Jarich lachte am anderen Ende der Tafel. »Du nimmst ihn hart heran, Nevopor.«
Der Hochpriester tat, als hätte er es nicht gehört. Er bemerkte wohl, daß Jarich, Miesko und die zwei anderen auf das Essen starrten und darauf warteten, daß er den ersten Bissen nahm.
Das Licht aus den Fensteröffnungen fiel auf die dampfenden Teichhuhnkörper, die braungeröstete, fettglänzende Haut. Sauerampferblätter lagen zur Zierde rings um das Fleisch in den Schüsseln. Nevopor legte die Klinge an den ihm am nächsten stehenden Braten, schnitt flach hinein und spießte sich das abgetrennte Stück hellgegarten Fleisches auf die Messerspitze. Er führte es zum Mund und blies darauf, um es abzukühlen. Sollten sie warten. War Geduld nicht eine äußerst wichtige Tugend für einen Priester?
Bis auf die schlichteren Verzierungen unterschieden sich die schwarzen Mäntel der vier anderen Priester am Tisch nicht von dem seinen. Er hatte das immer bedauert. Jeder Fehler, den sie machten, fiel auch auf ihn zurück. Und es geschah oft, daß sie der Priesterwürde Unehre machten – allein Jarich! Wie er ihn anblinzelte und wissend grinste, als wollte er sagen: »Ich weiß, warum du so lange auf dem Stück Fleisch herumpustest.«
Miesko besaß Geduld.
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