Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Beinahe gab er einen wirklich guten Priester ab. Hätte er nur ein stärkeres Auftreten, etwas mehr Autorität gegenüber dem Volk!
Das Fleischstück auf dem Messer dampfte nicht mehr.Nevopor befeuchtete die Lippen und setzte zu einem letzten, kurzen Pusten an, da donnerte eine Faust in unerhörter Zügellosigkeit gegen die Tür. Der Hochpriester erstarrte. »Geh, Chotebąd. Sieh nach, wer uns stört.« Sollte Alena bereits zurückgekehrt sein?
Noch bevor der junge Mann die Tür erreicht hatte, öffnete sie sich. Barchan. Wie er vom Pferd gesprungen sein mußte, so erschien der Herr der Tempelgarde vor den Priestern. Er trug noch die Sporen an den Fersen, eiserne Spitzen, ähnlich den Krallen, mit denen sich Auerhähne verletzten, wenn sie im Kampf aufeinander sprangen. In der Hand hielt er seine Axt. Ihr mit silbernen Kurven verziertes Blatt warf Tageslicht in den Raum.
Zum Gruß nahm Barchan die Pelzkappe vom Kopf und entblößte eine matt funkelnde Glatze, nur von spärlichem Haar umrandet. Er sagte nichts, aber der buschige Oberlippenbart bewegte sich, als würde er kauen. Behend wanderten die Augen des Tempelgardisten durch den Raum. An Nevopor blieben sie hängen.
Er mußte ihn gefunden haben. Sonst wäre er nicht gleich hereingeplatzt. Nun würde er also erfahren, warum Donik sich aufgelehnt hatte. Nevopor lächelte grimmig. Schickte er sie alle hinaus? Dann bestand die Gefahr, daß sie an der Tür lauschten oder sich dicht an das Fenster stellten, um alles zu hören. »Eßt ihr nur. Es ist nicht notwendig, daß alle gestört werden.« Nevopor schob sich das Fleischstück in den Mund und legte das Messer ab. Er erhob sich kauend. Würziger Saft rann seine Kehle herab. Aus dem Lippenwinkel brachte er hervor: »Ich gehe hinaus und höre dort, was Barchan zu sagen hat.«
Enttäuschte Gesichter, Stirnrunzeln bei den Priestern.
Endlich standen sie draußen. »Was gibt es zu berichten?«
Barchan sah sich um, strich sich mit der Hand über den Bart. »Nicht hier. Ist es dir recht, wenn wir zum Seetor gehen?«
Er nickte, und sie überquerten gemeinsam den Burghof.Nevopor konnte seine Halsschlagader spüren.
Dip-dip-dip-dip-badip-dip-dip-dip.
Das Pulsieren war ihm unangenehm, genauso wie es unangenehm war, daß sich Schweiß auf seiner Stirn bildete. Ein Tropfen rann an der Schläfe herab. Hastig wischte er ihn mit dem Ärmel fort.
Am Tor befahl Barchan dem Wachhabenden, vor dem Tempel zu warten, bis er ihn riefe. Der Posten entfernte sich gehorsam.
»Nun sind wir ungestört.« Nevopors Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Seine Stimme hatte nicht die Fülle, die er ihr geben wollte. Statt dessen klang sie brüchig und schal. Er räusperte sich. »Was ist geschehen? Hast du den Linonen gefangen?«
»Ich konnte ihn nicht einholen. Er hatte eine Stunde Vorsprung und ein frisches Pferd. In Smolov fand ich die Gescheckte, eingetauscht gegen ein Pferd des Zupans. Ich zwang ihn, mir ebenfalls ein ausgeruhtes Pferd zu geben. Das Unglück war der Regen, der bald einsetzte. Ich konnte an den Kreuzungen keine Spuren mehr ausmachen.«
»Was bedeutet das schon?« Er hätte ihn am liebsten am Hals gepackt. »Wenn ein Reiter den ganzen Tag in Richtung Westen reitet, dann wird er die Richtung doch wohl beibehalten! Du hättest nicht aufgeben dürfen.«
»Ich habe nicht aufgegeben, Nevopor. Ich habe gehandelt, wie du sagst. Durch das Gebiet der Zirzipanen bin ich geritten. Durch das Gebiet der Warnower – bis nach Zwerin. Nirgends eine Spur von ihm. Er ist entkommen.«
»Entkommen!« Nevopor fauchte es wie einen Fluch.
»Der Linone wußte, daß er verfolgt wird. Sonst hätte er nicht diese Geschwindigkeit beibehalten. Wer unterwegs die Pferde wechselt, hat es sehr eilig.«
»Das weiß ich selbst. Ich bin enttäuscht, Barchan, ich bin sehr enttäuscht. Es wäre von entscheidender Wichtigkeit für Rethra gewesen, daß wir diesen Mann fangen. Nun kann ich nur noch hoffen, daß Donik redet, und es sieht bisher danach aus, als würde er lieber sterben. Ich muß wissen,warum! Ein Mensch verschenkt sein Leben nicht ohne Grund.«
»Es gibt da noch etwas.«
Für einen kurzen, schrecklichen Augenblick überkam Nevopor Furcht. Was, wenn Barchan Teil der Verschwörung war? Wenn er den Linonen absichtlich entkommen lassen hatte? Und wenn er ihn hierher in den Schatten des Tores gelockt hatte, um ihm die Axt in den Körper zu schlagen?
»Bevor ich von Zwerin umkehrte, habe ich das Pferd im Wald verborgen und mich einige
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