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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Stunden am Rand der Sümpfe versteckt, um den Knüppeldamm zu beobachten. Wäre der Linone bei den Obodriten gewesen, um sein Pferd erneut zu tauschen, hätte er über diesen Weg kommen müssen. Aber nicht ihn habe ich gesehen, sondern einige Obodritenkrieger, die Gefangene zur Burg führten.«
    »Einer dieser Raubzüge. Es werden Zirzipanen gewesen sein. Was kümmert es mich? Wir sind seit dem Ende des Weletenbundes nicht mehr verpflichtet, ihnen beizustehen. Versuchst du, deinen Mißerfolg durch Unwichtigkeiten zu vernebeln?«
    »Es waren Franken.«
    Nevopor hob die Hand zu den Lippen. »Unmöglich«, sagte er tonlos.
    »Zwei der Obodriten schleppten ihre Schwerter und Kettenhemden.«
    »Liutbert kann nicht so weit vorgestoßen sein. Er ist erst vor wenigen Wochen über die Saale gekommen. Wenn er die Obodriten angreift, dann sind wir die nächsten. Nein, er übernimmt sich. Das kann er nicht tun.«
    »Du hast die Hilferufe der Sorben vernommen. Der Bischof plündert und brandschatzt, gemeinsam mit Ratolf, dem Grafen der Sorbenmark. Sie führen ein großes Heer.«
    »Natürlich weiß ich das. Viele wissen es. Es sind schwere Zeiten. Wir werden in wenigen Tagen das Blut eines Menschen fließen lassen, um Svarožićs starken Arm zu erflehen.«
    »Du kennst den Willen des Dreiköpfigen besser als ich.« Barchan trat aus dem Schatten. »Allerdings solltest du vielleicht die Gelegenheit nutzen, wenn das Volk zum Opfer versammelt ist, sie vor Svarožićs Zorn zu warnen. Nichts gibt dem Feind mehr Kraft als ein Verräter.«
    Wie meinte er das? War es eine Warnung? »Barchan«, knurrte Nevopor. »Ich bemerke es sehr wohl, wenn mich jemand hintergeht. Und ich kenne keine Gnade für jemanden, der sein Volk verrät.« Einige Augenblicke schwieg er. Dann fügte er leise, lauernd, hinzu: »Du weißt das, oder irre ich mich?«
    »Ich bin dir treu, sorge dich nicht. Vielleicht solltest du bekanntgeben, weshalb du Donik zu Tode folterst. Es könnte andere abschrecken.«
    Warum erwähnte er Donik? Nevopor musterte Barchans Gesicht. Die scharfen Falten um den Mund standen ruhig, und der Blick des Tempelgardisten zeigte Kraft, nicht Unsicherheit. Er würde zuviel aufgeben. Rethras Stärke war auch seine Stärke. »Hast du einen Grund dafür, daß du mich an die Möglichkeit eines Verrats erinnerst?«
    »Ich wußte nicht, daß es dich so sehr beunruhigen würde.«
    »Also?«
    »Die Franken hatten einen Führer.«
    »Aber keinen von uns.«
    »Das kann ich nicht sagen. Was mich erstaunt hat, war sein langer Bart. Nur Priester tragen solche Bärte.«
    »Beschreibe den Mann!«
    »Er war recht alt, trug langes, verfilztes Haar, hatte eine schiefe Nase. Ich glaube nicht, daß er von hier ist.«
    »Schiefe Nase, sagst du? Und er war alt? Hast du die Brauen gesehen, fügten sie sich unter der Stirn zu einer einzigen zusammen? Das Gesicht, hat es dich an einen –«
    »– Wolf erinnert, ja. Der häßliche Alte hatte den Gang eines Königs, sehr würdevoll. Kennst du ihn?«
    Nevopor stockte der Atem. Das war die Katastrophe, dieer geahnt hatte, hier war der Pol des Verderbens, der Sturm, hier schleuderten die Geister den Blitz auf ihn herab. Und es war schlimmer, als er es in seinen dunkelsten Befürchtungen geahnt hatte. »Geh«, ächzte er. »Geh jetzt.«
    »Was ist mir dir? Ist dir unwohl?«
    »Es geht mir gut, verschwinde.«
    Die knirschenden Schritte des Tempelgardisten entfernten sich.
    Nevopor wurden die Knie weich. Sie knickten ein, und er mußte sich an der Torwand abstützen, um nicht zu fallen. Selbst der Arm, mit dem er sich hielt, zitterte; ein Beben, das im Handgelenk begann und sich bis in den Ellenbogen fortsetzte.
    Warum hatte er all das aufbauen können, damit es ihm nun zerstört wurde? Zwanzig Jahre hatte er geplant, beraten, geführt, gekauft, gekämpft und gesiegt. Zwanzig Jahre für nichts? Was bildete sich dieser Besessene eigentlich ein, jetzt aufzutauchen und ihn, den Lebenden, ins Totenreich hinabziehen zu wollen? Immer wieder hatte sich Nevopor das Skelett vorgestellt, die verwesenden Überreste des Widersachers, der mit Sicherheit tot war, von Aasfressern zerrissen. Von Mal zu Mal war die zarte Sorge, er könnte vielleicht noch am Leben sein, lautloser geworden, bis sie fast verschwunden war. Verschwunden bis auf gelegentliche düstere Träume in der Nacht. Wenn er am Leben wäre, würde er angreifen, hatte sich Nevopor in den ersten Jahren gesagt, wenn er schweißgebadet erwachte im Morgengrauen. Wölfe mußten

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