Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
herauf, ballte sich zu kleinen, schwarzen Lichtern. Er gähnte die Priester an wie der Tod, kroch zwischen ihren Schemeln hin und her, wiegte sich, lohte. Ein Brummen war es, ein Fispeln von Flüchen, vom Untergang.
»Der Priester Svaroghs kehrt zurück.«
Laute des Erschreckens schollen durch den Raum.
»Aber … ich meine … er ist …«, stammelte Miesko.
»Du wirst alt. Erinnerst du dich nicht mehr? Javor hat versagt. Man hat ihn seinen Händen entrissen, und er war verschwunden seitdem. Wir haben geglaubt, daß er tot ist. Aber haben wir es
gewußt
?«
Miesko schloß die Augen. »Der Unterschied zwischen Wissen und Glauben ist mit den Jahren kleiner geworden.«
»Und dafür büßen wir nun.«
»Bist du sicher, daß er es ist?« fragte Jarich.
»Vollkommen sicher. Es gibt keinen auf dem Angesicht der Erde, der ihm gleicht. Und dann ist es auch … ein Gespür. Ich fühle die Wälle Rethras zittern. Ich kann spüren, daß er sich nähert.«
»Was hat er vor?«
»Wißt ihr das nicht? Dieser Alte ist der einzige, der die Macht hat, Rethra zu zerstören. Wart ihr wirklich so töricht, zu vergessen, wer Svarogh ist und wer Svarožić? Wir sind das Kuckucksei im Nest des alten Gottes. Glaubt nicht, daß die Menschen Svarogh vergessen haben! Der alte Gott schlummert in ihnen, und wenn es Uvelan gelingt, ihn zu wecken, wird er Svarožić hinwegfegen wie der Sturm ein Herbstblatt von der Eiche reißt.«
Jarich flüsterte: »Svarožić läßt das nicht zu.«
»Ach ja? Wer ist der Vater? Wer ist der Sohn? Glaubst du, ein Gott wie Svarogh wird alt und kraftlos wie ein Greis? Du bist Priester und kennst die Götter. Weißt du nicht, daß sie fortwährend an Macht gewinnen?«
»Das wäre Rethras Ende«, stöhnte Miesko.
»Rethras Ende. Unser Ende. Natürlich wird Svarožić auf unserer Seite kämpfen. Er hat die Gefahr lange vor uns erkannt. Die Forderung nach einem Menschenopfer hätte uns wachrütteln müssen. Aber noch ist es nicht zu spät. Svarogh rollt heran wie eine finstere Wolkenwand. Bereiten wir uns vor.«
»Willst du fliehen?«
»Nein. Wir werden kämpfen. Diesmal geben wir dem Boten Svaroghs den Todesstoß. Das ist unser Teil im Kampf der Götter. Möge es genauso Svarožić gelingen, seinen Vater zu vernichten.«
20. Kapitel
Der Eibenbaum hatte die Gestalt eines Menschen. Er war kurzastig und schlank bis zur Krone, dort aber breiteten sich mit düsteren Nadelzweigen besetzte Arme aus, als wollten sie die benachbarten Bäume beiseite drücken. Vom Stamm lösten sich Rindenstreifen, und knorrige Stränge von Baumwürgern schlangen sich um das Holz wie Seile. Es mußte eine lange Zeit sein, die der Baum bereits lebte, Jahrhundert um Jahrhundert an dieser Stelle; ein griesgrämiger Wächter, unerbittlich, unangreifbar.
Das rote Abendlicht gab dem Ort ein geisterhaftes Aussehen. Flüssiges Kupfer bedeckte den Himmel, durchzogen von gelbem Dampf. Ein Häher krächzte Flüche. Er flatterte schimpfend davon.
Vor der Eibe ein wuchtiger Klotz: der Totenstein.
Uvelan blieb in einiger Entfernung stehen und verneigte sich tief.
Er musterte den Baum, die faserigen, dichten Äste. Rote Beeren leuchteten. »Ich grüße dich, Geist des Totenbaums«, raunte er.
Mit schweren Fingern löste er den Lederbeutel vom Gürtel und öffnete ihn. Er entnahm die silberne Schlange. Die Finger eng zusammengepreßt, schob er sich den gekrümmten Schlangenkörper über die Hand. Feine Muster waren in das Silber eingearbeitet. Sie funkelten im roten Abendlicht. Die Schlange schmiegte sich kühl an Uvelans Unterarm. Er schob sie zurecht, bis der Kopf die Innenseite des Handgelenks berührte.
In die Hocke gesunken, legte er den Beutel auf den Waldboden und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare.Immer wieder blieben die Finger an Knoten und Verfilzungen hängen, rissen an der Kopfhaut. Schließlich gab er das Kämmen auf, zog die Priesterbinde aus dem Beutel, einen grünen, mit weißen Stickereien verzierten Leinenstreifen, und legte sie sich um die Stirn. Am Hinterkopf band er sie zusammen.
Den Griff des Bronzemessers, das er aus dem Beutel hob, verzierten an beiden Seiten Reihen feiner Dreiecke, umgrenzt von einer dreifachen Linie. Im Zentrum gruben sich Symbole in das rote Eisen, Blüten, kreuzförmige Blüten. Wie oft hatte dieses Messer Kehlen durchtrennt zu Svaroghs Ehre: Hälse von Hühnern, Schafen, Ziegenböcken.
Langsam erhob er sich. Er streckte die alten Schultern, atmete tief die warme Luft ein,
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