Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
»Priester« aus Doniks Mund ließ Nevopor erschauern, als hätte er einen bitteren Kräutersud getrunken. »Das ist Vergangenheit. Und er ist tot, mit großer Sicherheit ist er tot. Die Obodriten haben ihn gefangengenommen. Hast du verstanden?«
Donik riß die Augen auf. Seine Augäpfel bewegten sich sinnlos. Dann fanden sie Nevopor. »Rote Flecken. Du hast rote Flecken auf deinem Mantel.«
Entsetzt sah der Hochpriester an sich hinab. Hatte der Wein tatsächlich die weiße Seide beschmutzt? Er konnte keine Sprenkel finden. »Unsinn.«
»Überall sind rote Flecken, große, wie Äpfel, wie Blut.«
»Das ist eine Einbildung. Hat für dich nicht auch der Himmel rote Flecken? Sieh ihn dir gut an.«
Donik sah hinauf. Er blinzelte in schneller Folge. Dann ächzte er leise: »Er wird fliehen. Ihm wird … die Flucht gelingen.«
»Nein, das wird sie nicht!« brüllte Nevopor. Er schlug Donik ins Gesicht. »Sie wird ihm nicht gelingen! Und wenn doch, dann stirbt er hier, von meiner Hand.«
Donik röchelte. Er ließ den Kopf wieder zur Seite hinabhängen. Sein Gesicht war verzerrt, der Versuch eines Lächelns lag darauf.
Der Hochpriester trat ans Ufer und hockte sich hin. Er tauchte die Finger in den See, hob in der hohlen Hand Wasser herauf und ließ es hinabfallen. Es plätscherte leise. Donik ächzte und lallte einige unverständliche Worte. Nevopor ruderte im Wasser herum, schlürfte laut hörbar und machte Schluckgeräusche.
Donik stöhnte erneut.
Mit einem kurzen, harten Lachen stand Nevopor auf. Er hatte sich nicht geirrt. Donik war schuldig. Die anderen Schuldigen würde er genauso finden.
Er stieß die Tür zum Priesterhaus auf, daß sie mit einem Donnerschlag gegen die Wand prallte. Der Windzug ließ die Wandteppiche wehen, als seien sie nicht aus schwerer Wolle, sondern aus hauchdünnem Leinen. Die Essenden erstarrten, die Münder halb geöffnet, und sahen Nevopor entsetzt entgegen. Fleischgespickte Messer verharrten zwischen Teller und Gesicht.
»Wißt ihr, was ihr da eßt?« sagte er.
Niemand antwortete.
»Ihr eßt Rethra! Teichhuhn, Fisch, Reh, Auerhahn – ganz gleich, was auf diesem Tisch steht: Es ist der Körper Rethras. Ihr seid seine Glieder, ihr seid Hände und Füße. Wenn Rethras Herz durchbohrt wird, sterbt auch ihr.«
»Was ist geschehen?« würgte Jarich zwischen den Zähnen hervor.
Nevopor beachtete ihn nicht. »Svarožić hat ein Menschenopfer gefordert vor vier Wochen. Warum? Warum will er, daß ein Mensch stirbt, eines seiner Geschöpfe? Ihr seid seine Priester. Sagt es mir!«
Mieskos Kopf begann, bedrohlich zu wackeln. Er sprach leise. »Es ist recht deutlich. Große Gefahr naht, und der Dreiköpfige will unsere Treue prüfen. Er verlangt das größte Opfer – wenn wir es ihm bringen, rettet er uns mit Macht.«
»Weise gesprochen. Was ist diese Gefahr?«
Diesesmal antwortete Jarich. Er hatte inzwischen den Mund geleert, auch wenn noch ein Fleischfetzen zwischen seinen großen Schneidezähnen hing. »Du weißt es doch. Warum fragst du? Graf Thachulf ist gestorben, der letzte tapfere Franke. Er war es, der unsere Gesetze und Gewohnheiten kannte. Zu seinen Lebzeiten wäre nicht geschehen, was jetzt geschieht. Er hätte nie zugelassen, daß Liutbert und Ratolf über die Saale ziehen.«
»Denkt ihr anderen genauso?«
»Natürlich. Liutbert ist die Gefahr. Svarožić möge uns vor seinem Frankenheer bewahren, jetzt, wo Thachulf es nicht mehr kann.«
»Ihr liegt falsch.«
Schweigen legte sich über den Raum. Die Priester sahen Nevopor an. Miesko verengte zweifelnd die Augen zu schmalen Schlitzen, Jarich schloß den Mund und zog ihn nachdenklich zur Seite. Die beiden anderen Priester runzelten verwirrt die Stirn.
»Liutbert ist ein großer Mann. Manche Franken sagen, er sei fast so stark wie der König selbst. Und er haßt Svarožić und die anderen Götter. Schlimmer noch: Genauso wie die Sorben haben wir zuletzt keinen Tribut mehr entrichtet an die Franken. Heute trifft der Krieg die Sorben, morgen sind wir vielleicht an der Reihe.«
»Der Herr des Feuers wird uns helfen«, rief Jarich.
»Gegen eine solche Gefahr, ja. Er wird uns voranreiten auf der Weißen und die Feinde schlagen.« Nevopor blickte von einem zum anderen. »Aber ich sage euch als Hochpriester, daß das Opfer einen anderen Grund hat. Einen gewichtigeren als das heranziehende Frankenheer.«
Nun erbleichten die Gesichter.
»Der Stachel sitzt tief in uns.«
Ein Gedanke knisterte vom staubbedeckten Boden
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