Die Principessa
über die prachtvoll geschmückte Piazza. Den Spaniern war die Ehre zuteil geworden, das Fest der österlichen Lobpreisung auszurichten – der Dank des Pontifex für ihre Unterstützung bei seiner Wahl gegen die Partei der
Franzosen. In ihrem Auftrag hatte Carlo Rainaldi, der Sohn des päpstlichen Hausarchitekten, den Platz wie eine mittelalterliche Festung gestaltet: Zu beiden Enden der Piazza erhoben sich auf mächtigen Pfeilern zwei Wachttürme, unter deren Kuppeln der auferstandene Christus und die Gottesmutter Maria über den Platz hinweg einander grüßten. Hier, dachte Clarissa voller Bangen, zwischen diesen beiden Türmen würde sich Francesco Borrominis Schicksal in wenigen Minuten entscheiden.
Im Halbkreis säumten die Sitzreihen mit den kirchlichen und weltlichen Potentaten die Empore für den Thron des Papstes, gegenüber von Berninis unvollendetem Brunnen, der Stein gewordenen Demütigung seines Rivalen. Die Figuren, welche die Fontänen einmal schmücken sollten, fehlten zwar noch, doch der Obelisk war bereits über dem Marmorbecken aufgerichtet. Wie ein gigantischer drohender Finger ragte er in den Himmel empor.
»Wie prächtig die Anlage erst wirken wird, wenn Wasser aus den Speiern sprudelt und die Flussgötter sich darin tummeln«, sagte Donna Olimpia. Sie war in großartigem Tenue – ihr Kleid ein verschwenderisches, mit Gold und Brillanten verziertes Kunstwerk aus Seide, Rüschen und Schleifen – und in noch großartigerer Stimmung.
»Sicher, ein prächtiges Schauspiel«, erwiderte Clarissa zerstreut. »Das hätte dein Borromini nie zustande gebracht. Übrigens«, wandte Olimpia sich plötzlich an jemanden in der Reihe hinter ihr, »wäre heute nicht der rechte Abend, Ihren Bruder in den Vicolo dell’ Agnello zu schicken?«
»Heute? Meinen Sie?«
Als Clarissa die Männerstimme in ihrem Rücken hörte, fuhr sie herum. Auf dem Platz hinter ihr saß Cavaliere Bernini, der sie mit einem verlegenen Lächeln begrüßte. Sie erwiderte den Gruß mit einem stummen Nicken. Warum musste er ausgerechnet hinter ihr sitzen?
Während sie den Blick wieder nach vorn wandte, hörte sie, wie Olimpia ihm zur Antwort gab: »Seien Sie nicht dumm, Cavaliere.
Es kann keinen günstigeren Abend geben. Heute kann seine Nachbarin ganz allein schalten und walten, und wer weiß, wenn das Urteil erst gesprochen ist, ob sich dann überhaupt noch Pläne dort finden lassen. Der gottlose Mensch ist imstande und hat für den Fall, dass ihm etwas passiert, Anweisung gegeben, die Zeichnungen zu vernichten.«
Clarissa verstand kein einziges Wort. Sie beobachtete nur, wie wenige Augenblicke später Luigi Bernini, der Bruder des Cavaliere, sich auf einen Wink Donna Olimpias näherte, sich zu Lorenzo beugte, kurz mit ihm sprach und sich dann durch die Menge der Flagellanten davonmachte, mit einem so missmutigen Gesicht, als habe er gerade den Auftrag bekommen, die Fasten noch einmal von vorn zu beginnen.
Was hatte das zu bedeuten? Clarissa fand keine Zeit, darüber nachzudenken, denn plötzlich erschollen Fanfaren, das Wehgeheul der Flagellanten verstummte, und bald war nur das feine Klingeln eines Glöckchens zu hören. Auf einem weißen Maulesel wie einst Jesus an Palmsonntag kam Papst Innozenz auf die Piazza geritten. Vor der Tribüne stieg er von seinem Tier und betrat die Empore. Als er auf seinem Thron Platz nahm, brauste von beiden Seiten des Platzes ein Jubelchor auf; aus vielen hundert Kehlen ertönte der Freudengesang, um die Auferstehung des Herrn zu preisen, unterstützt von zwei Orchestern, die in den beiden Wachttürmen untergebracht waren. Höher und höher stieg das Lob Gottes und seines Stellvertreters auf Erden in den Himmel, als wolle es das ganze Weltall erfüllen. Voller Ungeduld sehnte Clarissa das Ende des Chorals herbei – und fürchtete gleichzeitig nichts mehr als dieses.
Als das letzte Halleluja der Sänger, der letzte Ton des Orchesters verklungen war, trat ein Gardist vor und pochte dreimal mit dem Stiel seiner Hellebarde auf den Boden.
»Der Heilige Vater ruft Signor Francesco Borromini vor seinen Thron!«
Clarissa zuckte zusammen, als sei sie selber aufgerufen worden. Am Vormittag während der Ostermesse, die Innozenz an derhölzernen Mensa seiner bis auf den letzten Platz gefüllten Bischofskirche zelebriert hatte, war sie noch guten Mutes gewesen. Trotz der übergroßen Eile, in deren Zeichen die Umbauarbeiten der Basilika von Beginn an gestanden hatten, war die Kirche rechtzeitig zum
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