Die Principessa
erfahren.
»Ich bin ja so gespannt auf die Bescherung«, sagte Donna Olimpia am Nachmittag des 24. Dezember mit funkelnden Augen.
»Ich kann kaum erwarten, dass es endlich Abend wird.«
»Bescherung?«, fragte Clarissa, wie stets darum bemüht, sich gegenüber ihrer Cousine möglichst unbefangen zu verhalten.
»Was meinst du damit?«
»Du wirst schon sehen, du wirst schon sehen.«
Auf einem Tragsessel an der Spitze einer tausendköpfigen Prozession und begleitet von den Gesängen der Pilger und Gläubigen, zog Papst Innozenz an diesem Heiligen Abend vom Vatikanpalast zum Lateran. Als die Glocken der Basilika sechsmal anschlugen, verstummten die Gesänge. Innozenz verließ dieSänfte und zu Fuß bestieg er die Stufen zum Portal seiner Kirche. Mit ernstem Gesicht kniete er nieder und klopfte mit seinem Hirtenstab an der zugemauerten Pforte an, um Einlass zu begehren, während sechs seiner Kardinäle zu den anderen Hauptkirchen der Stadt ritten, um dort in seinem Namen dasselbe zu tun, und kaum war der erste Schlag getan, brachen Maurer die Steine fort, damit der Pontifex Maximus die mächtige Basilika in seinen Besitz nehmen konnte: Das Heilige Jahr 1650 war eröffnet!
Die anschließende Christmette verfolgte Clarissa an der Seite ihrer Cousine. Gerade verlas ein Prälat das heilige Evangelium nach Lukas, um die frohe Botschaft von der Ankunft des Erlösers auf Erden zu verkünden, da trat ein Maurer an das Chorgestühl heran und beugte sich zu Olimpia.
»Hier, wie Sie befohlen haben, Eccellenza!«, flüsterte er und reichte ihr eine verstaubte, mit Mörtelresten behaftete Kassette. Clarissa schaute ihre Cousine verwundert an, doch Olimpia hatte keinen Blick für sie. Mit einem Ausdruck des Entzückens nahm sie die kleine Truhe in Empfang, die so schwer war, dass sie sie nur mit sichtlicher Kraftanstrengung entgegennehmen konnte, und hielt sie dann mit beiden Händen auf ihrem Schoß, als wolle sie sie nie wieder hergeben. Während sie den Worten der Weihnachtsgeschichte zu lauschen schien, betrachtete sie mit zärtlichen Blicken die Kassette und strich immer wieder über ihren Deckel, und sie gab sie nicht aus der Hand, bis sie und Clarissa spät in der Nacht in den Palazzo Pamphili zurückgekehrt waren.
»Die Medaillen vom letzten Heiligen Jahr«, sagte Donna Olimpia, und ihre Stimme gluckste vor Freude. »Sie waren in der Heiligen Pforte eingemauert. Damit kann ich Camillos Hochzeit leicht bezahlen, und es bleiben noch viele Scudi übrig, um andere gute Werke zu tun.«
Sie hatte den Deckel der Kassette geöffnet, und beim Sprechen ließ sie die Goldmünzen durch ihre Finger gleiten.
»Aber«, fragte Clarissa erstaunt, »sind die Medaillen nicht für die Armen bestimmt?«
»Bin ich etwa nicht arm?«, fragte ihre Cousine zurück. »Die Vorsehung hat mir diesen Schatz zugedacht, und niemand darf sich über sie erheben. Das wäre Anmaßung, eine Sünde wider den Heiligen Geist.«
Sie klappte den Deckel zu und trug die Kassette zu einem Schrank. Fassungslos sah Clarissa, wie ihre Cousine sie dort verstaute.
»Wie kannst du so etwas tun?«
»Ich kann tun, was ich will«, sagte Olimpia und drehte sich zu ihr um. »Alles! Ich bin die Herrscherin dieser Stadt!«
Aus ihrem Gesicht sprach ein solcher Triumph, dass es Clarissa die Kehle zuschnürte. Warum tat Olimpia das? Warum gab sie ihr ruchloses Handeln so schamlos vor ihr preis? Wollte sie sie mit dieser Demonstration ihrer Macht einschüchtern? Clarissa hatte kaum noch Zweifel daran. Sie fragte sich nur, was ihre Cousine im Besitz solcher Macht ihr eines Tages antun würde.
16
Während die Angst Clarissa wie ein unsichtbarer Schatten begleitete, vergingen die Tage und Wochen mit den Zeremonien des Heiligen Jahres. Wie das Ritual es verlangte, wusch und küsste Innozenz die Füße von sieben Pilgern, trug das wundertätige Kruzifix von San Marcello nach Sankt Peter und beschenkte die Brüderschaft der Trinität, die sich um das Wohl der Pilger in der Ewigen Stadt kümmerte, mit fünfhundert Goldscudi aus seiner Privatschatulle. Doch wen die Römer tatsächlich für ihren Papst erachteten, stand am »Pasquino« geschrieben: »Olimpia Pontifex Maximus«.
Das war nicht übertrieben. Donna Olimpia wohnte nicht nur wie eine regierende Königin jeder offiziellen Zeremonie bei, sondern entzog ihrem Schwager unter dem Vorwand, seine Gesundheitzu schonen, immer mehr Geschäfte von Bedeutung, um sie selber zu besorgen. Sie entschied über Gnaden- und
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