Die Principessa
Ablassgesuche, vergab Pensionen und erklärte Ehen für gültig oder ungültig. Kein Amt in der Stadt, das ohne ihre Einwilligung vergeben wurde, kein Präfekt oder Bischof, der ihr nicht verpflichtet war, sodass sie Reichtümer hortete, von denen selbst die Barberini nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Der Rota Romana aber, dem päpstlichen Gerichtshof, pflanzte sie ein so perfektes System von Erpressungen und Bestechlichkeit ein, dass in Rom immer weniger das Gesetz, dafür aber umso mehr ihr Wille über Recht und Unrecht entschied.
Auch den Prozess gegen Francesco Borromini wegen der Tötung seines Gehilfen trieb Donna Olimpia voran, sogar in der Zeit der Fasten. Während alle Gerichtsverfahren in der Stadt sonst ruhten, ging dieses Verfahren weiter – nicht in einem ordentlichen Gerichtssaal, sondern an der Mittagstafel des Papstes. Der Angeklagte war der Lateranbaumeister, sein Fürsprecher Monsignore Spada. Doch wer war der Ankläger? Und wer der Richter?
»Ich meine«, sagte Virgilio Spada, »wenn Signor Borromini seine Schuld in öffentlicher Rede eingesteht und den Heiligen Vater auf Knien um Vergebung bittet – könnte diese ihm dann nicht gewährt werden? Er hat immerhin Bedeutendes geleistet, und es fragt sich, ob die Kirche auf einen Mann mit solchen Gaben verzichten kann.«
Innozenz wog nachdenklich den Kopf, doch bevor er das Wort ergreifen konnte, sagte Donna Olimpia: »Wehe der Kirche, wenn ihr Oberhaupt das himmlische Recht um irdischer Vorteile beugt! Signor Borromini hat schwer gesündigt und sein Verbrechen schreit nach Strafe. Wie soll das Volk zwischen Gut und Böse unterscheiden, wenn eine solche Schandtat ungesühnt bleibt?«
»Verzeihen Sie, wenn ich einen Einwand erhebe, Eccellenza«, antwortete Spada und wischte sich mit einem Tuch den Mund ab. »Aber hat Jesus Christus uns nicht auch gelehrt, den Irregeleiteten zu verzeihen? Und gilt dies nicht ganz besonders imHeiligen Jahr? Ich versichere Sie, Signor Borromini hat an allen Jubelfeiern für den Ablass teilgenommen.«
»›Mein ist die Rache‹, sprach der Herr«, erwiderte Donna Olimpia ungerührt. »Meint Ihr nicht auch, Heiliger Vater?«
Mit einem unwilligen Brummen pflichtete Innozenz ihr bei. Clarissa war so erregt, dass sie den Wein, an dem sie gerade nippte, verschüttete. Während ein Diener herbeieilte, um die Flecken zu trocknen, griff Olimpia nach ihrer Hand.
»Ich weiß, mein Kind, was du empfindest.« Alle Strenge war aus ihrem Gesicht gewichen und hatte dem Ausdruck mitfühlender Anteilnahme Platz gemacht. »Du magst diesen Steinmetz, und deine Zuneigung spricht für deine Herzensgüte. Aber Recht muss Recht bleiben.«
Während Clarissa den immer stärkeren Händedruck ihrer Cousine spürte, beschlich sie eine fürchterliche Ahnung. Warum war Olimpia so erpicht darauf, Borromini zu strafen? Hunderte von Verbrechern, die viel Schlimmeres begangen hatten als er, ja sogar Kinderschänder und Meuchelmörder wurden in diesem Jahr begnadigt und in die Freiheit entlassen. Wollte Olimpia Francesco womöglich nur strafen, um
sie
zu treffen? Clarissa schloss die Augen. Nicht vorzustellen, wenn er dafür sein Leben lassen musste … Aber was konnte sie tun?
Voller Anspannung und gleichzeitig wie gelähmt fieberte sie dem Ostersonntag entgegen. An diesem Tag, dem wichtigsten im Heiligen Jahr, würde der Papst nach der Messe in seiner Bischofskirche das Urteil verkünden, beim großen Fest auf der Piazza Navona.
17
Bereits am frühen Morgen war der Platz schwarz von Menschen, überbordend wie sonst nur am Tag einer Hinrichtung, und ihreRufe drangen durch die Fensterscheiben in den Palazzo Pamphili.
»Die Römer wollen den Heiligen Vater sehen«, sagte Donna Olimpia, die mit Innozenz den Ablauf des Tages besprach. »Ihr dürft sie nicht enttäuschen.«
»Dafür ist jetzt keine Zeit«, erwiderte Innozenz mürrisch. »Ich will mich vor der Messfeier sammeln. Zeigen Sie sich an meiner Stelle dem Volk!«
Während Olimpia die Balkontür öffnete, kniete Innozenz vor einem Marienaltar nieder, um zu beten. Clarissas Herz begann zu klopfen – sie war mit dem Papst jetzt ganz allein im Raum. War dies ein Fingerzeig des Himmels? Noch nie hatte sie gewagt, von sich aus das Wort an diesen Mann zu richten, doch heute hatte sie keine andere Wahl. Sie selber hatte Spada, ohne es zu wissen, den Weg gewiesen, um ihren Freund zu retten, und jetzt, da der Monsignore am Widerspruch Donna Olimpias zu scheitern drohte, war es ihre
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