Die Principessa
Sie einmal gebeten, sich nicht um mich und meine Angelegenheiten zu bemühen. Ich wäre Ihnen deshalb dankbar, Sie würden diesen Wunsch in Zukunft respektieren.« Er verbeugte sich, doch bevor er ging, fügte er hinzu: »Im Namen der heiligen Theresa.«
Damit ließ er sie stehen. Als hätte sie einen Schlag ins Gesicht bekommen, drehte Clarissa sich um. Lorenzo Bernini schaute sie an, die Brauen vor Überraschung gerunzelt, ein zerbrechliches Lächeln um den Mund.
War das die Strafe für ihr Vergehen?
19
An diesem Abend war an Schlaf nicht zu denken – Clarissa fühlte sich viel zu aufgewühlt. Noch spät in der Nacht ging sie in ihrem Observatorium auf und ab und versuchte ihre Gedanken zu ordnen und ihre Gefühle zu klären. Von draußen drang immer noch der Lärm des feiernden Volkes zu ihr herauf, immer wieder unterbrochen von den Böllerschüssen des Feuerwerks, das um Mitternacht begonnen hatte.
Wie konnte Borromini sie so beleidigen! Nach allem, was sie für ihn getan hatte! Clarissa war gleichzeitig wütend und niedergeschlagen.Während sie ihn in ihrer Wut am liebsten gepackt und geschüttelt hätte, damit endlich sein Panzer von ihm abfiel, wusste sie zugleich, dass er ja nicht ahnen konnte, was sie und Monsignore Spada unternommen hatten, um sein Leben zu retten.
Bei dem Gedanken beruhigte sie sich ein wenig. Ihr Freund lebte – das war das Einzige, was zählte. Sie trat an ihr Teleskop und schaute in den klaren Nachthimmel. Sie sah den Jupiter, sie sah den Saturn: Mattgeld leuchtete er auf sie herab. In seinem Zeichen war Borromini geboren. »Wie eine Tasse mit zwei Henkeln …«
Immer wieder schossen Raketen in den Himmel hoch, um nach wenigen Augenblicken zu erlöschen. Als würden die Menschen in ihrer Raserei Blitze gegen die Sterne schleudern, die dort oben ihre Bahnen zogen, ohne durch die Angriffe der Erdbewohner Schaden zu nehmen. Clarissa empfand den Anblick wie einen Trost. Ja, es gab doch Mächte im Universum, die über den Menschen standen, selbst wenn sie Donna Olimpia hießen, die erhaben waren über menschliche Willkür und Anmaßung.
Gab es sie wirklich? Sie hatte das Gesicht ihrer Cousine gesehen, im Moment ihrer Niederlage: den Hass und die Wut, die aus ihren Augen sprühten. Was würde Olimpia unternehmen, wenn sie begriff, dass Clarissa den Papst gegen sie aufgehetzt hatte? Wenn Innozenz ihr verriet, dass ihre Cousine ihr diese Niederlage beigebracht hatte?
Clarissa trat von dem Fernrohr zurück, am ganzen Körper zitternd. Ja, sie wusste, was passieren würde, wenn Olimpia die Wahrheit erfuhr. Wie konnte sie daran zweifeln?
Keinen Tag länger durfte sie in diesem Gefängnis bleiben! Mit raschen, lautlosen Schritten, damit niemand sie hörte, eilte sie in ihr Ankleidezimmer. Noch in dieser Nacht, wenn alles schlief, im ersten Morgengrauen, würde sie sich aus dem Haus schleichen. Sie packte ein paar Kleider zusammen, öffnete die Truhe mit ihren persönlichen Sachen und kehrte darin das Unterste zu oberst, bis sie endlich das Geld und ihren alten Pass wieder fand,die sie seit Jahren auf dem Grund der Truhe aufbewahrt hatte. Sie stopfte die Münzen und Papiere zu der Wäsche in den Mantelsack und wollte ihn gerade zuschnallen, als hinter ihr eine Tür knarrte.
Clarissa erstarrte. Wie sollte sie erklären, was sie gerade tat? Sie fühlte die Blicke in ihrem Rücken wie durch ein Brennglas.
»Ich … ich wollte gerade …«, stammelte sie und drehte sich um.
Als sie sah, wer in der Tür stand, schloss sie die Augen.
»Ist Ihnen nicht wohl, Principessa?«
»Nein, nein«, erwiderte sie und blickte den Diener an, der mit einem Leuchter und einem silbernen Tablett in den Händen zu ihr trat. Am liebsten hätte sie ihn umarmt, so froh war sie, dass er und nicht ihre Cousine sie überrascht hatte. Stattdessen lächelte sie ihn an und sagte: »Mir war nur für eine Sekunde schwindlig. Ach, ein Brief für mich?«, fragte sie dann und griff nach dem Kuvert, das der Diener ihr auf seinem Tablett reichte.
»Er wurde am Abend für Sie abgegeben.«
Als sie die vertraute Schrift mit ihrer Adresse sah, war ihr, als winke ihr ein lieber Mensch aus weiter Ferne zu. Ungeduldig riss sie den Umschlag auf, entfaltete den Brief und überflog das Schreiben.
Bereits bei den ersten Worten hielt sie den Atem an, und nachdem sie die wenigen Zeilen gelesen hatte, musste sie sich setzen – ein anderer Mensch als der, der sie eben noch gewesen war. Ihre letzte Kraft, ihre letzte Zuversicht waren
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