Die Principessa
Aufgabe, diesen Weg zu Ende zu gehen. Nicht nur für Francesco, auch für sich selbst. Hoffnung keimte in ihr auf. Sie wollte ein Argument in Anschlag bringen, dem Innozenz sich vielleicht nicht verschließen konnte.
»Ich bitte Ewige Heiligkeit kniefällig um Verzeihung«, sagte sie, und das Herz pochte ihr bis zum Hals, »aber eine schwere Seelenpein nötigt mich, Euch um Rat zu bitten.«
Innozenz betete flüsternd weiter, dann wandte er sein pockennarbiges Gesicht ihr zu. »Wen Gott peinigt, den liebt er«, sagte er, und zu Clarissas Erleichterung erfüllte ein warmer, milder Ausdruck sein hässliches Gesicht, als er sich von seiner Bank erhob. »Was hast du auf dem Herzen?«
»Die Frage nach dem Ablass lässt mir keine Ruhe, Heiliger Vater. Ist es wahr, dass die Teilnahme an den Jubelfeiern dereinst im Jenseits die Strafe für unsere Sünden mildert?«
»Sicherlich, meine Tochter. Wer reuigen Herzens die Wallfahrt im Heiligen Jahr begeht, dem ist das ewige Seelenheil gewiss.«
»Aber wenn dem so ist, Ewige Heiligkeit, muss dann nicht auch jenen Menschen Ablass zuteil werden, die zum Gelingen desHeiligen Jahres einen Beitrag leisten? Die mitwirken an dem großen Werk, das so vielen Gläubigen Befreiung von der Last ihrer Sünden verheißt?«
»Du meinst Signor Borromini, den Baumeister meiner Kirche?« Der Papst schüttelte den Kopf und sein Gesicht verdüsterte sich. »Die himmlische Gerechtigkeit kann vergeben, die irdische muss Strenge walten lassen.«
»Kennt sie darum keine Gnade?«
Innozenz hob den Arm zum Segen. »Die Gnade des Herrn sei mit ihm – sie wird ihn auf dem Schafott bedecken wie ein Schild.« Mit einem Seufzer ließ er sich wieder auf die Knie sinken. »Die Sache ist entschieden. Der Sünder muss büßen – Borromini wird sterben. Störe mich nicht weiter in meinem Gebet.« Von der Piazza stieg lauter Jubel empor.
Borromini wird sterben … Borromini wird sterben …
Immer wieder hallten diese drei unscheinbaren, alles vernichtenden Worte in Clarissas Kopf nach, während draußen auf dem Balkon ihre Cousine sich dem Volk zeigte, und ihre Angst steigerte sich zur Verzweiflung. Besaß Donna Olimpia wirklich alle Macht auf Erden? Selbst die Macht über Leben und Tod?
Clarissa wollte sich dem Papst zu Füßen werfen, um ihn um Gnade anzuflehen. Da erblickte sie sein Gesicht: Es war fast eine Grimasse, so groß war der Unwille, mit dem er aus den Augenwinkeln seine Schwägerin auf dem Balkon beobachtete, während seine Lippen die Gebetsworte murmelten. Plötzlich durchzuckte Clarissa eine Frage. Was würde Donna Olimpia jetzt an ihrer Stelle tun?
Im selben Moment kam ihr eine Idee. Es war nur ein Strohhalm, nicht mehr als eine vage Hoffnung, und vielleicht gefährdete sie sogar ihr eigenes Leben, wenn sie ihrer Eingebung folgte. Doch durfte sie diese Chance, und wenn sie noch so gering war, ungenutzt lassen?
»Das Volk liebt Donna Olimpia«, sagte sie laut, ohne sich von Innozenz’ verärgerter Miene beirren zu lassen. »Die Menschen jubeln ihr zu, als wären sie nur ihretwegen gekommen.«
»Das Volk soll Gott lieben oder Seinen Stellvertreter«, erwiderte Innozenz erbost. »Je mehr sie einem gewöhnlichen Menschen zujubeln, umso weniger Jubel bleibt für das Heilige Jahr.«
»Aber Donna Olimpia ist kein gewöhnlicher Mensch«, widersprach Clarissa unter Aufbietung all ihren Muts. »Sie kann tun, was sie will. Alles! Sie ist die Herrscherin von Rom!«
Innozenz wechselte die Farbe, und die Verärgerung in seinem Gesicht wich offenem Zorn, während er seinen Leib in die Höhe wuchtete. Plötzlich wirkte er wie ein großer, alter, böser Kettenhund, den man aus seiner Hütte gelockt und gereizt hatte.
»Wer untersteht sich«, fragte er mit knarrender Stimme, »solches zu sagen?«
18
Am Abend erstrahlte die Piazza im Lichterschein von eintausendsechshundert Laternen, und die Luft hallte wider vom Heulen und Zähneknirschen der Flagellanten, die zur Erinnerung an das dem Erlösungswerk Gottes vorangehende irdische Jammertal ihre nackten Oberkörper mit vielschwänzigen Peitschen geißelten.
Mit vor Aufregung weichen Knien bestieg Clarissa die Tribüne, die in der Mitte der Piazza aufgeschlagen war, und nahm an der Seite ihrer Cousine Platz. Der Tag war so quälend langsam vergangen, als dehnten sich die Sekunden zu Minuten und die Minuten zu Stunden. Hatte sie mit ihrem verzweifelten Versuch beim Papst etwas bewirkt? Oder war ihr Mut vergeblich gewesen?
Immer wieder blickte Clarissa
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