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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Kinder ihre Väter – wer eine Mauer in auffälliger Weise berührte, wurde angezeigt.
    Am Ende des Monats war die Angst so groß, dass die Römer den Papst um Erlaubnis baten, einen Bittgang durch die Stadt zu veranstalten. Die beiden Pestpatrone, der heilige Sebastian und der heilige Rochus, hatten sich bislang taub für das Heulen und Flehen gezeigt. Doch bestand nicht die Gefahr, dass eine Prozession von vielen tausend Menschen das Unheil noch mehrte, die Ansteckung förderte? Auf den Kanzeln wurde das Für und Wider erwogen, und nicht wenige Pfarrer verkündeten, dass jede Schutzmaßnahme blasphemischer Frevel sei: Mit der Pest sende Gott Pfeile herab, die ihr Ziel niemals verfehlten, wo immer auchdie, welche sie treffen sollten, in ihrer Verzweiflung Zuflucht suchten.
    Francesco Borromini blieb von alledem unberührt. Warum sollte er sich fragen, ob Gott auch ihn mit der Plage treffen wolle? Die Strafe hatte ihn längst erreicht – viel schlimmer noch, als wenn die Seuche ihn selbst befallen hätte.
    Keine Stunde wich er mehr von Clarissas Seite. Wann immer sie die Augen aufschlug, sollte sie ihn in ihrer Nähe finden. Während er an ihrem Bett saß, das Gesicht in den Händen vergraben, fühlte er, wie entsetzlich alt er inzwischen war. Er war müde, ohne Kraft, vor allem aber ohne Zuversicht. Am Leib der Principessa hatten sich immer noch keine Beulen gebildet, durch die ihr Körper den tödlichen Eiter hätte austreiben können.
    »Bitte … zeigen Sie mir Ihre Pläne …«
    Überrascht blickte Francesco auf. Die Principessa war aus ihrem fiebrigen Schlaf erwacht und schaute ihn an. Ihre Augen waren so klar wie zwei Smaragde, zum ersten Mal seit langer Zeit. Auch die Schweißperlen waren von ihrer Stirn verschwunden. War das Fieber gesunken? Hoffnung keimte in ihm auf. War dies die Wende, erstes Zeichen ihrer Genesung? Oder war es die
euphoria
, von der er in den Büchern gelesen hatte, jenes kurze, heftige Aufflackern der Lebensgeister, bevor sie für immer erloschen? »Pssst«, machte er. »Sie müssen sich schonen!«
    Mit einer fast unmerklichen Bewegung schüttelte sie den Kopf.
    »Die Pläne«, wiederholte sie leise. »Die Pläne für die Piazza … Ich … möchte Sie mit auf die letzte Reise nehmen.«
    Sie sagte das ohne jede Wehmut oder Bitterkeit in der Stimme, als stelle sie eine längst beschlossene Sache fest. Francesco griff nach ihrer Hand.
    »Ich lasse Sie nicht fort, Principessa. Sie dürfen nicht gehen!«
    »Müssen wir nicht folgen, wenn Gott uns ruft? Bitte … zeigen Sie mir den Entwurf … Wer weiß …, wann ich mich je wieder so … bei Kräften fühle.«
    Sie nickte ihm mit einem Lächeln zu. Durfte er ihr die Bitte verweigern? Nein, vielleicht war es die letzte, die sie an ihnrichtete – er hatte ihr schon zu viele ausgeschlagen. Behutsam half er ihr, sich auf dem Lager aufzurichten, stopfte ihr Kissen in den Rücken und strich ihr das Haar aus der Stirn. Dann holte er sein Zeichenbrett und setzte sich so an ihre Seite, dass sie ihm beim Skizzieren zuschauen konnte.
    »Sie … haben immer noch den Stift?«, fragte sie, als er die ersten Striche auf das Papier brachte.
    »Seit Sie ihn mir schenkten, habe ich keinen anderen benutzt. Ich habe die Mine schon viele hundert Male ersetzt.«
    »Das ist gut«, flüsterte sie.
    Für eine Stunde war es fast wie früher in den schönsten Stunden ihres Zusammenseins. Vor ihren Augen skizzierte er seinen Entwurf für das Forum Pamphili, erläuterte die Gliederung und den Aufbau des Platzes: eine Ellipse, die von vier Kolonnadenreihen gesäumt wurde. Und während er zeichnete und sprach, spürte er ein weiteres Mal, welche Kraft sie ihm gab, wie allein durch ihre Gegenwart vage Ideen plötzlich klare Gestalt annahmen, als könne es gar nicht anders sein, als gebe es gar keine andere Möglichkeit als eben diese, zu der er sich entschlossen hatte, hier vor ihren Augen, jenseits aller Zweifel.
    »Es sieht wunderschön aus«, sagte sie.
    »Finden Sie? Aber warten Sie, das ist nur die Wirkung von außen. Das Eigentliche sieht man erst, wenn man auf der Piazza steht. Der Platz birgt ein Geheimnis, das sich dem Betrachter nur von einem ganz bestimmten Punkt aus erschließt.« Francesco zögerte, er hatte dieses Geheimnis noch keinem Menschen anvertraut. »Hier«, sagte er dann und markierte mit dem Stift die Stelle, »von hier aus kann man es sehen, ein optischer Effekt, wie es ihn noch auf keinem Platz der Welt gegeben hat.«
    Aufmerksam hörte sie

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