Die Principessa
Entsetzen: Nein, er hatte sich nicht geirrt!
»Warum … sollte … Bernini … das tun?«, flüsterte Clarissa. Mit letzter Kraft stieß sie die Worte hervor, dann schloss sie die Augen. Hatte sie abermals seine Gedanken erraten? Francesco stürzte an ihr Bett, und während die Tränen über seine Wangen strömten, bedeckte er ihre Hand mit Küssen.
»Sie haben nicht die Pest«, stammelte er. »Es ist Gift … Gott sei Lob und Dank! Jetzt wird alles wieder gut, Sie werden sehen … schon bald …«
Plötzlich hielt er inne und schaute auf ihre Hand. Reglos lag sie in der seinen.
15
»Hat die Hure ihre Strafe gefunden?«, fragte Donna Olimpia.
»Ich habe alles ausgeführt«, erwiderte Don Angelo mit gesenkter Stimme, »genau so, wie Sie es mir aufgetragen haben.« Vorsichtig schaute er sich um, ob sie allein in dem Gotteshaus waren, und kratzte sich gleichzeitig mit beiden Händen am Körper.
»Und? Hast du dich auch vom Ergebnis überzeugt?«
»Ich war über zwei Wochen in der Stadt, und jeden Tag habe ich persönlich dafür gesorgt, dass alles, was Sie gesagt haben …«
»Ich will wissen, ob du ihre Leiche gesehen hast – mit eigenen Augen. Hüte deine Lippen, dass sie nicht Trug reden!«
»Mit eigenen Augen?«, fragte er und schielte unter dem Randseiner Kapuze zu ihr empor. »›Richtet nicht nach dem, was vor den Augen ist‹, spricht der Herr. Es ist unmöglich, dass die Principessa noch lebt. Ich habe bestes französisches Gift verwendet.«
»Ah, du hast sie also nicht gesehen! Hast dich lieber aus dem Staub gemacht, wie?« Sie spuckte ihm ins Gesicht. »Um deine Haut zu retten! Feige wie ein Straßenköter!«
»Eccellenza!«, protestierte er und wischte sich den Speichel von den Wangen. »Ich habe mein Leben für Sie gewagt! Sie wissen ja gar nicht, wie es in Rom aussieht! Der Tod lauert hinter jeder Ecke, alles bangt um sein Leben. Ihr Sohn, Don Camillo, verlässt seit neuestem nicht mehr das Haus noch empfängt er irgendeinen Menschen in seinem Palast. Sogar mir ließ er die Tür weisen, obwohl ich doch Grüße von Ihnen …«
»Gibst du es also zu? Du treuloser, undankbarer Mensch!« Sie zog ihren Rosenkranz aus dem Ärmel und schlug damit auf ihn ein wie mit einer Peitsche. »Fort mit dir! Verschwinde! Ich will dich nicht mehr sehen!«
Don Angelo hob die Arme über den Kopf und stolperte davon. Angewidert blickte sie ihm nach, wie er durch das Portal ins Freie hastete. Welche Schuld hatte sie nur auf sich geladen, dass Gott sie mit dieser Kreatur bestraft hatte?
Olimpia wandte sich ab und öffnete eine Tür im Seitenschiff der Kirche. Modrige Kühle umfing sie, als sie die Stufen zur Krypta hinabstieg, um das Grab der Schwarzen Rosa aufzusuchen. Das Fest der Heiligen wurde am 3. September gefeiert, an Donna Olimpias Geburtstag. War das nicht ein Zeichen, dass sie unter ihrem besonderen Schutz stand?
Vollkommene Stille herrschte in dem unterirdischen Gewölbe, wo die Mumie im Schein eines ewigen Lichts aufgebahrt lag. An anderen Tagen besänftigte stets die schlichte Heiligkeit dieses Orts Donna Olimpias Gemüt, doch heute fand ihr Herz selbst an dieser Stätte keine Erlösung von den Sorgen, die sie seit ihrer Verbannung aus Rom peinigten.
Sie zündete eine Kerze an und steckte sie auf einen Leuchter,ihre sonst so ruhigen Hände zitterten vor Erregung. Wenn Clarissa noch am Leben war und den Mund aufmachte … Täglich konnten Alexanders Schergen in Viterbo erscheinen und Olimpia verhaften. Dabei hatte sie alles so sorgfältig geplant. Sobald ihre Cousine starb, würde sie Bernini als Clarissas Mörder anzeigen. Jeder Diener im Palazzo am Campo dei Fiori würde bezeugen, dass die Körbe mit dem vergifteten Obst von dem Cavaliere stammten – kein Gericht Roms konnte sich diesem erdrückenden Beweis seiner Schuld verschließen. Mit seiner Verurteilung würde auch dieser Mitwisser ihres Geheimnisses für immer schweigen, und sie, Donna Olimpia, wäre außer Gefahr, für alle Zeit. Doch damit ihr Plan aufging, musste die Hure tot sein – tot, tot, tot!
Mit einem Seufzer kniete sie nieder. Wie sollte sie die Ungewissheit länger ertragen? Was für eine Qual, tatenlos das Schicksal abzuwarten in dieser Abgeschiedenheit am Ende der Welt, ohne jede Ahnung, was in Rom vor sich ging. Aber was sollte sie tun? Wenn sogar Don Angelo, der doch für Geld bereit wäre, sich entmannen zu lassen, inzwischen vor der Pest Reißaus nahm, wer sollte ihr dann zuverlässige Nachricht aus der Stadt
Weitere Kostenlose Bücher