Die Principessa
Ungeziefer Felle um den Hals trugen, diese »Flohpelzchen« von Zeit zu Zeit auszuschütteln. Der Jesuitenpater Athanasius Kircher wiederum behauptete, das Pestmiasma sei eine Schar winzig kleiner Würmchen, welche in der Luft umherflögen, um das Geblüt zu verderben und die Drüsen zu zersetzen, sobald sie durch den Atem in den Leib gelangten.
Erschöpft las Francesco weiter. Was nützte all die gelehrte Erkenntnis von den möglichen Ursachen der Krankheit? Welche Maßnahmen gab es, um die Principessa zu heilen?
Ach, es waren verzweifelt wenige! Absonderung der Kranken und strikte Reinlichkeit: Das waren die einzigen Empfehlungen, die er in den Büchern fand. Doch würden diese erbärmlichen Maßnahmen Heilung bringen?
Nein, Tag für Tag verschlechterte sich Clarissas Zustand. Das Fieber, das ihr anfangs Linderung verschafft hatte, stieg immer mehr, Vorbote des nahenden Endes, und je geringer die Hoffnung wurde, umso mehr wuchs Francescos Verzweiflung. Welch himmelschreiendes Unrecht! Er, Francesco Borromini, hatte den Tod verdient – nicht die Principessa! Wieder und wieder hatte sie ihm die Hand gereicht, wieder und wieder hatte er sie ausgeschlagen, geblendet von seinem Hochmut und seiner Eifersucht. Konnte er diese Schuld an ihr je wieder gutmachen? Er war bereit, alles für sie herzugeben, sein Geld, seine Arbeit, seine Kunst – wenn sie nur am Leben bleiben würde.
Francesco gab nicht auf, stemmte sich gegen ein blindes, wütendes Schicksal, das, statt ihn zu strafen, der Principessa solches Unrecht antat. Aus den Büchern wusste er, dass es noch eine Hoffnung gab: dass die Pestbeulen an Clarissas Leib aufbrachen, der Eiter abfloss und das tödliche Fieber sank. Wann aber sollte das geschehen? Wenn sie erschöpft schlief, tastete er ihre Leistenbeuge ab, mit geschlossenen Augen und die Kranke innerlich um Vergebung bittend, allein, die Beulen waren so winzig klein, dass er sie kaum spüren konnte.
Die Ärzte mahnten zur Geduld – Francesco hatte sie längst verloren. Um sich zu betäuben, stürzte er sich in rastlose Tätigkeit. In seiner Not kaufte er Pestwasser, mit denen die Apotheker inzwischen schwungvollen Handel trieben, meist einfacher Essig, versetzt mit Heilkräutern und duftenden Essenzen, den er im Krankenzimmer versprühte. Er öffnete das Fenster, um den Raum zu lüften, wedelte der Kranken mit Palmenzweigen Kühlung zu und ordnete an, dass sie regelmäßig gewaschen wurde und viel frisches Obst zu sich nahm.
Wenigstens daran herrschte kein Mangel. Denn täglich wurde im Palazzo ein großer Korb mit Früchten abgegeben, im Auftrag des Cavaliere Bernini, versehen mit seinen besten Genesungswünschen.
14
Die Augustfeste auf der Piazza Navona fanden in diesem Jahr vor fast leeren Tribünen statt. Kein Adliger, kein Kirchenfürst wollte sehen, wie in Berninis künstlichem See ein Dutzend Pferdewagen um die Wette fuhr. Nur gemeines Volk, kaum fünfhundert Menschen an der Zahl, schaute dem Spektakel zu, um für ein paar Stunden die Angst zu vergessen.
Denn die Pest ließ sich nicht länger leugnen in Rom. JederMann, jede Frau lebte beständig in der Furcht, von ihr befallen zu werden. Der schwarze Tod machte weder vor Palästen noch Kirchen halt, unterschied nicht zwischen Reich oder Arm, Jung oder Alt. Ganze Häuserzeilen wurden unter Quarantäne gestellt, Familien geschlossen ins
lazaretto
verbracht, während in den Höfen die Kleider der Toten wie Zunder brannten. Und keine anderen Glocken läuteten mehr in der Stadt als die kleinen Schellen, welche die Pestknechte an den Beinen trugen, wenn sie die nackten Leichname wie Säcke aus den Gebäuden schleiften, um sie auf ihre Karren zu werfen.
Wer hatte dieses Unglück auf die Ewige Stadt herabbeschworen? Gerüchte kursierten von Pestsalbern, gottlosen Gesellen, die ihre Seele dem Teufel verkauft hatten. In Palermo, so hieß es, auf Sizilien, von wo aus sich die Plage verbreitet hatte, erst auf das Festland, dann nach Neapel und Rom, hatten sie die Weihwasserbecken der Kirchen verseucht, im Auftrag des Höllenfürsten. Bald witterte man überall solche Dunkelmänner, die Wände und Türen, Kirchenbänke und Glockenseile mit ihren todbringenden Salben beschmierten. Ein Aufruf wurde erlassen, in dem jedem, der einen Schuldigen beim Namen nannte, eine Belohnung von zweihundert Scudi versprochen wurde. Die Folge war nur eine Steigerung des Schreckens. Nachbarn trauten einander nicht mehr über den Weg, Frauen verdächtigten ihre Männer,
Weitere Kostenlose Bücher