Die Principessa
– sie hatte in jungen Jahren selbst ein Kind verloren, vor der Geburt, und wusste, dass ihr Leben, das dieser Mann gerettet hatte, vollkommen anders verlaufen wäre, hätte es dieses Kind gegeben. Was konnte sie tun, um ihn über seinen Verlust zu trösten?
Sie kniete am Kamin nieder und legte ein paar Scheite nach. »Vielleicht habe ich eine Idee«, sagte sie, während sie das Feuer schürte.
Er antwortete nicht.
»Haben Sie einmal daran gedacht, ein Buch zu schreiben?«
»Ein Buch?«
»Ja«, sagte sie, »um Ihre Gedanken für immer aufzubewahren. Ein Buch mit allen Ihren Plänen und Zeichnungen, mit allen von Ihnen ausgeführten und nicht ausgeführten Werken. Für die Menschen, die nach uns kommen.« Sie stand auf und drehte sich zu ihm herum. »Was halten Sie davon, Signor Borromini? Wäre das keine lohnende Aufgabe?«
20
Frühling – Frühling in Rom!
Während die Tage endlich wieder länger wurden, färbte sich die Welt in tausend Pastelltönen, als würde ein himmlischer Maler mit seinem Pinsel über die Wiesen und Wälder streichen. Zartes Grün regte sich am Boden und in den Bäumen, über Nacht brachen Narzissen und Tulpen aus dem Erdreich hervor, der Flieder blühte in weißer und violetter Blütenpracht. Die Luft füllte sich mit den süßen, wohl vertrauten Düften der Fruchtbarkeit, und das Gesumm der Bienen verwob sich mit dem Zwitschern der Vögel.
Zusammen mit der Natur erwachten auch die Menschen zu neuem Leben. Nach dem Pestjahr begrüßten sie den Frühling wie eine Erlösung. Weit öffneten sie die Fenster und Türen, um mit dem Winter die bösen Ausdünstungen aus ihren Wohnungen zu vertreiben, überall in den Straßen schlugen Händler und Krämer ihre Buden auf, die Bauern zogen auf die Felder und in die Weinberge, und als auch die Abende wärmer wurden, war in den Winkeln am Tiber bald wieder jenes heimliche Tuscheln und Flüstern zu hören, das alle Gedanken an Leid und Tod vergessen macht.
Und Francesco Borromini? Beglückt beobachtete Clarissa, wie er sich in diesen Wochen verwandelte. Ihr Vorschlag, gemeinsam ein Buch zu verfassen, schien wie ein Lebenselixier auf ihn zu wirken. Zur Vorbereitung ihres Unternehmens besichtigten sie seine Bauten in der Stadt: San Carlo alle Quattro Fontane, Sant’ Ivo alla Sapienza, San Giovanni in Laterano – all die prachtvollen Kirchen und Paläste, die er in so vielen Jahren ersonnen, errichtet oder umgestaltet hatte. Während er ihr seine Werke erklärte, flackerte manchmal der alte Stolz in ihm auf, und immer öfter wich der Ausdruck von Trauer in seinem Gesicht jenem begeisterten Leuchten, das Clarissa seit ihrer ersten Begegnung in Sankt Peter so sehr an ihm mochte.
»Ich war der Erste«, sagte er, als er ihr die Fassade von San Carlo zeigte, »der den rechten Winkel durch Rundungen und konkave Einzüge ersetzte.«
»Haben Sie sich nicht manchmal furchtbar allein gefühlt?«, fragte sie. »Alle waren gegen Sie.«
»Alle Architekten, die neue Wege gegangen sind, waren allein. Keiner von ihnen hat je versucht, es den anderen recht zu machen, jeder folgte nur seiner Überzeugung. Und doch waren es am Ende fast immer sie, die gesiegt haben – die Einsamen, die Außenseiter.«
»Wie haben Sie Ihre Auftraggeber gefunden?«
»Gar nicht«, sagte er stolz. »Sie haben
mich
gefunden.«
Bei diesen Exkursionen herrschte zwischen ihnen eine Stimmung, die ihre Herzen erwärmte wie der Frühling ihre Glieder. Es war, als würden sie gemeinsam ein unsichtbares Haus bewohnen, ein Haus des Zugehörens, in dem sie das Wertvollste miteinander teilten, das sie besaßen: ihre Gedanken, ihre Meinungen, ihre Gefühle. In diesem unsichtbaren Haus waren sie einander so nahe, dass sie keine körperliche Nähe brauchten, und instinktiv vermieden sie beide, einander zu berühren, als fürchteten sie, etwas sehr Kostbares und Zerbrechliches zu gefährden.
»Müssen Sie die Dreikönigskapelle wirklich abreißen?«, fragte Clarissa, als sie das Collegio Propaganda Fide besichtigten, eine der letzten großen Baustellen, die Francesco geblieben waren.
»Ich weiß, was Sie denken«, erwiderte er. »Sie denken, ich wolle Bernini demütigen oder schaden. Aber das ist es nicht. Die Kapelle ist baufällig, es hat mehrere Wassereinbrüche gegeben. Außerdem wollen die Patres eine größere Kirche, die Zahl der Missionarsschüler nimmt jedes Jahr zu.«
»Trotzdem, gibt es keine andere Lösung?«
»Glauben Sie, dann hätte Papst Alexander den Abriss genehmigt?«,
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