Die Principessa
Hochaltar von Sankt Peter. Wie ich hörte, gibt es einen Termin für die Fertigstellung?«
Und ob es den gab! Die Zeit zerrann Lorenzo zwischen den Fingern wie der Sand im Stundenglas. Und er hatte auch nicht die Strafe vergessen, die der Ausführungsvertrag für den Fall einer Fristüberschreitung vorsah: die Erstattung sämtlicher Kosten.
»Erlauben Sie mir eine Frage, Donna Olimpia?«, sagte er schließlich. »Warum nehmen Sie die Mühe auf sich, sich um einen unbedeutenden Künstler wie mich zu kümmern?«
Donna Olimpia stand auf und betrachtete seine Zeichnung. »Was haben Sie nur für wunderbare Ideen, Cavaliere«, sagte sie,ohne auf seine Frage einzugehen. »Sie müssen sie mir erläutern. Was sind das für zwei Figuren neben dem segnenden Papst?«
»Die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit«, erwiderte Lorenzo, der gleichfalls aufgestanden war. »Ich habe ihnen Kinder beigefügt, um die Verlassenheit der Menschen auszudrücken.«
»Großartig! Wie untröstlich sie über den Verlust des Vaters trauern.« Plötzlich schien sie zu erschrecken. »Und da ist ja auch der Tod. Er hält ein Buch in den Händen, als wolle er etwas hineinschreiben. Den Namen des Verstorbenen?« Sie beugte sich über die Skizze. »Ach, wenn wir nur wüssten, welcher Name der folgende sein wird!« Sie drehte sich zu Lorenzo herum. »Ich will Ihre Loyalität prüfen«, erklärte sie nun ohne Umschweife. »Es könnte sein, dass die Familie Pamphili in Zukunft bedeutende Aufträge zu vergeben hat. Außerdem …«
Statt den Satz zu Ende zu sprechen, blickte sie ihm in die Augen. »Außerdem?«, fragte er.
»Außerdem hat meine Cousine mich gebeten, in dieser Sache mit Ihnen zu sprechen. Es ist ihr Wunsch, dass Castelli den Auftrag bekommt.«
23
Mit einem Lichterstab steckte Clarissa die Kerzen in der Kapelle des Palazzo Pamphili an, und mit jeder neu entzündeten Flamme traten die Figuren des Altarreliefs deutlicher hervor, als wollten sie, vom Licht beseelt, aus ihrem Schattenreich ins wirkliche Leben schreiten.
Clarissa hatte sich allein zu einer Abendandacht eingefunden. In der Einsamkeit des Herzens und mit versammeltem Gemüt kniete sie nieder und schlug das Kreuz, um sich in die Gegenwart Gottes zu begeben. Wie jeden Abend bereitete sie sich aufdas Gebet vor, wie man sich auf die Begegnung mit einem hohen Herrn vorbereitet, nahm ihre Gedanken zusammen und überlegte, was sie sagen und wie sie ihre Bitten vortragen wollte.
»Göttlicher Heiliger Geist«, begann sie leise, die Augen fest auf den Altar gerichtet, »gib mir die Gnade, erleuchte meinen Verstand, regiere mein Herz, dass ich dieses Gebet zu Deiner Ehre und zu meinem Heil verrichte, durch Jesum Christum, unseren lieben Herrn und Heiland …«
»Amen«, fiel eine Männerstimme ein.
Irritiert blickte Clarissa auf. Vor dem Beichtstuhl des kleinen Gotteshauses stand Lorenzo Bernini und lächelte sie an. Was für eine Überraschung! Sie hatte ihn seit Wochen nicht gesehen. Im selben Moment war ihre Andacht verflogen. Voller Freude erhob sie sich, um den Cavaliere zu begrüßen.
»Es muss Gott ein Vergnügen sein, Ihrem Gebet zu lauschen, Principessa«, sagte er, während er sich zum Kuss über ihre Hand beugte. »Ich bin sicher, nicht einmal der Papst findet Worte, die Sein Ohr mehr entzücken. Ja, Gott liebt den Eifer, er hat Gefallen an unserer Demut.«
Seine Rede kitzelte sie wie eine Gänsefeder. »Ich bete nur, wie meine Mutter es mich lehrte«, erwiderte sie so würdig, wie sie nur konnte, und ordnete den Schleier über ihrem geknoteten Haar, während ihr ein herrliches Prickeln den Rücken hinunterlief.
»Dann danken Sie Ihrer Mutter für die Unterweisung, denn Ihre Gebete wurden erhört.«
Clarissa spürte, wie ihr Herz vor Aufregung zu pochen anfing. »Soll das heißen, Sie haben mein Porträt bereits in Stein gehauen? Ich meine natürlich«, verbesserte sie sich schnell, »das Porträt der heiligen Theresa?«
»Haben Sie
darum
gebetet, Principessa?«, fragte Bernini mit hochgezogener Braue. »Sosehr ich mich darüber freuen würde, muss ich Sie zu meiner eigenen Zerknirschung enttäuschen. Doch ziehen Sie kein solches Gesicht! Ich habe weit bessere Nachricht für Sie.«
»Eine Nachricht? Für mich?«
Sie reichte ihm ihre Hand, damit er ihr aus der Bank half.
»Ich war heute beim Heiligen Vater. Die Konservatoren der Stadt Rom werden Signor Castelli zum Architekten der Sapienza ernennen.«
Jubel stieg in ihr auf. »Das … das ist ja wunderbar!«,
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