Die Principessa
glitt Lorenzo geschmeidig wie eine Schlange unter der Klinge seines Gegners hindurch, entschlossen, ihm den Degen in den Leib zu rennen.
»Gnade, Lorenzo! Erbarmen!«
Der Mond trat hinter einer Wolke hervor, und plötzlich sah er das Gesicht des Fremden, zwei Augen, die voller Entsetzen auf ihn gerichtet waren.
Als Lorenzo diese Augen sah, erstarrte er. Sein Arm war plötzlich schwer wie Blei, und er ließ den Degen sinken.
Es waren Luigis Augen, die Augen seines Bruders.
25
Man feierte das Namensfest der Apostelfürsten Peter und Paul im Jahr 1633, auf den Tag genau eine Woche nachdem der Ketzer Galilei vor dem Heiligen Offizium der Inquisition seiner Irrlehre abgeschworen hatte, dass die Welt eine Kugel sei, die sich um sich selber drehe. In feierlicher Prozession, angeführt vom Oberhirten der Christenheit, Seiner Heiligkeit Papst Urban VIII., der, getragen von Gesängen aus unzähligen Kehlen, hoch über dem Volk der Gläubigen auf den Schultern seiner Gardisten schwebte, zogen die Würdenträger der katholischen Kirche in den Petersdom ein, die Kardinäle im roten Purpur, gefolgt von den violett gewandeten Bischöfen und Erzbischöfen sowie den Prälaten im schlichten Schwarz. Aus aller Welt, wo immer im wahren Glauben gebetet wurde, waren Abordnungen gekommen, um der Einweihung des neuen Hochaltars beizuwohnen, der, von einem riesigen weißen Tuch verhüllt, sich über dem Grab des ersten Apostels erhob.
Wie die Brandung des Ozeans brauste der Jubelchor auf, als auf ein Zeichen des Papstes die Verhüllung fiel, und die tausend und abertausend Augen in dem Gotteshaus reichten nicht aus, das Wunder zu fassen. Es war, als würde die Sonne aufgehen. Neunzig Fuß ragte der Altar in die Kuppel empor, vier gewundene Säulen, die sich wie einst die Säulen von Salomos Tempelhimmelwärts schraubten, wurden bekrönt von einem Baldachin aus glänzender Bronze, der trotz seiner gewaltigen Masse schwerelos über dem Aufbau zu schweben schien: Triumph des Willens und des Glaubens, Gotteslob aus Freude und Licht, Beweis menschlicher Erfindungsgabe und Schaffenskraft, erbaut in neun Jahren von einem Heer namenloser Architekten und Zeichner, Bildhauer und Metallgießer, Steinmetze und Maurer, Zimmerleute und Drechsler, für die unglaubliche Summe von einhundertachtzigtausend Scudi – fast so viel wie die vatikanischen Staatseinkünfte eines ganzen Jahres.
Die Gesänge verstummten, und ein Offizier der Schweizergarde gebot mit dreifachem Klopfen seiner Hellebarde Ruhe.
»Cavaliere Lorenzo Bernini!«
Während die Stimme des Gardisten in der Basilika verhallte, trat der Aufgerufene, gekleidet in das schwarze Habit des Cavaliere di Gesù, aus der Menge hervor und schritt durch ein Spalier von Kardinälen zum Thron des Papstes. Als er vor Urban niedersank, ihm den Fuß und die Hand mit dem Fischerring küsste, wurde es so still in dem Gotteshaus, dass man das Rascheln seines Gewandes zu hören glaubte.
»Rom hat schon manches Wunder gesehen«, erhob der Papst seine Stimme, »aber dies ist eines der größten, fürwahr eines Michelangelo würdig.«
Clarissa, die an der Seite von Donna Olimpia inmitten der an Häuptern gewachsenen
famiglia
Pamphili saß, platzte fast vor Stolz. Der Mann, der dieses Wunderwerk vollbracht, der all die Herrlichkeit erschaffen hatte, die nun die ganze Welt bestaunte, der Mann, den der Papst auf eine Stufe mit dem großen Michelangelo erhob – dieser Mann hatte sie geküsst! Am liebsten hätte sie es laut hinausgerufen, damit jeder erfahre, dass es ein unsichtbares Band gab zwischen ihr und dem Schöpfer des Altars, und als würde der Papst insgeheim auch sie auszeichnen, zusammen mit Bernini, schaute sie triumphierend in die Runde, nickte Donna Olimpia zu, als müsste diese ihren Stolz verstehen, schenkte sogar deren Schwager Pamphili ein Lächeln, der mitmürrischer Würde seinen neuen Kardinalshut trug, und ließ ihre Augen über die Masse der Gläubigen schweifen, bis ihr Blick plötzlich hängen blieb. Nicht weit von ihr, am Fuß einer Säule, kniete eine Frau, die ihr seltsam vertraut schien, obwohl sie nicht wusste, woher und warum: eine Frau von großer Schönheit, deren Gesicht jedoch von frischen, roten Narben fürchterlich entstellt war.
Die Stimme des Papstes rief sie zurück.
»In Würdigung deiner Verdienste«, sagte Urban zu dem vor ihm knienden Bernini, »ernennen wir dich zum
uomo universale
unseres Pontifikats, zum ersten Künstler Roms.«
»Es heißt«, flüsterte Donna
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