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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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denselben Namen zu tragen wie der einstige
assistente
Berninis. Er war bereits am frühen Morgen hierher gekommen, um dem Ereignis beizuwohnen. Denn wie kein Zweiter vermochte er zu ermessen, welche Leistung sich hinter der Konstruktion verbarg und was sie für die Domanlage bedeutete.
    Seine dunklen Augen konnten keine Sekunde von dem Anblick lassen, immerzu starrte er auf den Turm, wie in einem Bann, sodass er darüber fast seinen Hass auf den Erbauer vergaß, der gerade vom Pferd stieg, um die Huldigungen purpurgewandeter Kirchenfürsten entgegenzunehmen. Was für eine herrliche Schöpfung! Die Einrahmung der mächtigen Domfassade gab der Anlage Halt und Gleichgewicht, obwohl der Turm selbst durchsichtig war wie eine offene Halle. Leicht und luftig stiegen die Säulenreihen in zwei Geschossen in die Höhe, um sich in einem dritten Stockwerk zu verjüngen, das, mit Statuen geschmückt, in phantastisch geschwungenen Kuppeln seinen Abschluss fand. Wie wunderbar harmonierte der Aufbau dank seiner kühnen Maße mit der wuchtigen Fassade und der schweren Attika! Und wie eindrucksvoll kam die Kuppel zu ihrem Recht! Mächtig und erhaben wölbte sie sich über dem Ganzen empor, Symbol von Schutz und Herrschaft zugleich. Ja, es war eine unglaubliche Leistung. Und ein unglaubliches Verbrechen …
    Plötzlich hielt Borromini den Atem an. Im Portal des Doms erschien eine Frau, die gerade die Kirche verließ und seinen Blick auf sich zog. Jetzt blieb sie stehen und ordnete ihrenSchleier, sodass er kurz ihr Gesicht sah: Es war das Gesicht eines Engels … Ihm blieb fast das Herz stehen. Wie konnte das sein? Sie hatte doch Rom vor vielen Jahren verlassen! Ohne das Spektakel der Baustelle eines Blickes zu würdigen, hob sie den Kopf und schaute über den Platz, als würde sie etwas suchen. Dann wandte sie sich ab. Ihr Gesicht verschwand wieder hinter dem Schleier; sie raffte den Rock und eilte die Treppe hinunter zu einer Kutsche, die mit offenem Schlag auf sie wartete.
    Das alles dauerte nur wenige Sekunden, doch Borromini erschien es wie eine Ewigkeit, als sei die Zeit stehen geblieben. Ein Raunen erhob sich über dem Platz, und Borromini erwachte aus seinem Traum. Ohne zu wissen, was er tat, stieß er zwei Männer beiseite, die ihm breitschultrig im Weg standen. Er achtete nicht auf ihre wütenden Proteste, während er in die Richtung der Basilika stolperte. Die Augen auf die verhüllte Gestalt gerichtet, als könne er sie mit seinen Blicken aufhalten, drängte er sich mit Gewalt durch die sich immer wieder zwischen ihn und diese Frau schiebende Menge, um sie von nahem zu sehen, von Angesicht zu Angesicht.
    Er hatte die Kutsche bis auf einen Steinwurf erreicht, da schwoll ein zweites Raunen an, noch lauter als das erste, wie aus tausend Kehlen zugleich, ein Rufen und Schreien, das immer mächtiger wurde, als gelte es, Böses zu vertreiben. Unwillkürlich blickte Borromini auf, und im nächsten Moment sah er, was die Menschen auf der Piazza in solchen Schrecken versetzte: Zwei Risse, gezackt wie ein Blitz, liefen quer über das Mauerwerk – Risse in der Fassade von Sankt Peter!
    Für einen Augenblick vergaß Borromini alles, was er gerade tat und was er wollte, und eine bittere Genugtuung erfüllte ihn. Er hatte es geahnt, es gleichzeitig befürchtet und erhofft: Das Fundament war zu schwach, um die gewaltige Konstruktion zu tragen …
    Er hatte nur diesen einen Augenblick gezögert, doch als er sich umdrehte, um die Verfolgung wieder aufzunehmen, war es bereits zu spät. Ohnmächtig musste er zusehen, wie die verhüllteFrau inmitten des lärmenden Aufruhrs in ihre Kutsche stieg. Der Kutscher hob die Peitsche, die Pferde zogen an, und während die Menge sich vor ihnen teilte, fuhr der Wagen davon.

2
    Schon seit Jahrhunderten flohen die Päpste im Sommer den stickigen Tiberkessel, um die heißesten Monate des Jahres auf dem Quirinalhügel oberhalb der Stadt zu verbringen, wo zu Cäsars Zeiten der Tempel der Gesundheit gestanden hatte. Doch trotz der guten Luft, wegen der man den Ort seit der Antike pries, fühlte Papst Urban sich an diesem Augustabend gar nicht wohl. Er hatte sein Nachtmahl kaum angerührt und sich schon bald zur Ruhe zurückgezogen. Allein dem Cavaliere Bernini hatte er befohlen, ihn in sein kühles Schlafgemach zu begleiten, wo er nun, nachdem seine Diener ihn auf seidene Kissen gebettet hatten, die Mitra vom Kopf nahm und sich gedankenvoll über den kahlen Schädel strich, dessen Fontanelle sein Leibarzt

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