Die Principessa
Olimpia, »der Heilige Vater habe ihm achttausend Scudi zum Geschenk gemacht – als Sondervergütung.«
Als ihre Cousine die Summe nannte, durchzuckte Clarissa eine Frage. Wo war Castelli? Im selben Augenblick war ihr Stolz, ihr Jubel verflogen, um plötzlicher Empörung zu weichen. Warum erwähnte niemand Castellis Verdienst? Warum gab es für ihn weder Auszeichnung noch Belohnung? Sie reckte den Hals und suchte nach den Zunftfahnen der Handwerker, die am Bau des Altars mitgewirkt hatten.
Bald hatte sie ihn entdeckt, am Eingang der Gregorianischen Kapelle. Die Arme vor der Brust verschränkt, schaute er der Zeremonie mit versteinerte Miene zu. Obwohl er von Menschenmassen umgeben war, wirkte er so einsam, als wäre er allein auf der Welt.
Der Anblick traf Clarissa mitten ins Herz, und das Gefühl unendlicher Scham kam über sie. Sie hatte ihn im Bann von Berninis Triumph vergessen, wie alle anderen Menschen auch, die hier versammelt waren.
Jetzt drehte Castelli den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Clarissa lächelte ihm zu, doch er schlug die Augen nieder.
26
»Achttausend Scudi«, wiederholte Donna Olimpia, als sie nach der Feier den Dom verließen. »Das macht mit all den anderen Gratifikationen mehr als zwanzigtausend. Cavaliere Bernini ist jetzt ein reicher Mann. Komm, wir wollen ihn begrüßen!«
Lorenzo stand, umgeben von den Familiaren des Papstes, vor dem Portal der Basilika, und die Sonne schien auf ihn herab, als würde sie eigens für ihn vom Himmel strahlen.
»Ja«, sagte Clarissa, »wir wollen ihn begrüßen. Und ihn daran erinnern, dass er den Altar nicht allein gebaut hat.«
Jetzt hatte auch Bernini sie entdeckt, vor Freude leuchteten seine Augen auf. Er zog den Hut und lächelte ihnen zu.
»Ich bewundere Ihre Kunst, Signor Cavaliere«, sagte Donna Olimpia. »Doch verraten Sie uns: Was hat Ihnen als Maßstab gedient, ein Werk solcher Größe zu erschaffen?«
»Mein Auge«, erwiderte Bernini und warf den Kopf in den Nacken. »Weiter nichts.«
»Nur Ihr Auge?«, fragte Clarissa. »War nicht vielleicht auch die eine oder andere Hand im Spiel, um Ihnen zu helfen?«
Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge, und im selben Moment erstarb das Lächeln auf Berninis Lippen. Eine Frau kam aus der Kirche gestürzt, warf sich vor ihm in den Staub und umklammterte seine Stiefel, während sie voller Verzweiflung immer wieder rief: »Vergib mir! Bitte, Lorenzo! Erbarmen! Vergib mir meine Schande! Gnade!«
Clarissa machte unwillkürlich ein paar Schritte rückwärts. War das eine Besessene? Sie hatte noch keine gesehen, doch so, wie diese Frau sich benahm … Plötzlich sah sie ihr Gesicht – es war voller Narben. Heilige Muttergottes! Das war dieselbe Frau, die am Fuß der Säule gekniet hatte! Wieder überkam Clarissa das Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben. Doch wo nur, bei welcher Gelegenheit? Auf einmal erkannte sie das Gesicht trotz der Narben wieder: Sie hatte vor Jahren im Palast des englischenGesandten schon einmal in dieses Gesicht geschaut, wie in einen Spiegel: ein Gesicht aus Marmor, mit großen, erwartungsvollen Augen.
»Mein Gott, was ist mit dieser Frau geschehen?«, flüsterte sie.
»Hast du nicht davon gehört?«, fragte Donna Olimpia und zog sie fort. »Die ganze Stadt redet davon. Das ist Costanza Bonarelli, die Frau von Berninis erstem Gehilfen. Sie hat den Cavaliere hintergangen, mit seinem eigenen Bruder – dafür hat er sie bestraft. Ein Diener hat den Auftrag ausgeführt, als sie schlief. Es heißt, er habe ein Rasiermesser benutzt.« Aus ihrer Stimme klang unverhohlene Anerkennung. »Aber mach dir keine Sorgen!«, fügte sie rasch hinzu, als sie Clarissas Bestürzung sah. »Der Heilige Vater hat dem Cavaliere verziehen und die Anklage fallen gelassen. Nur der Diener wurde bestraft, man hat ihn in die Verbannung geschickt.«
Clarissa hörte sie und hörte sie nicht. Während Donna Olimpia sie weiter fortzog, musste sie immer wieder über die Schulter blicken, auf Bernini und die Frau zu seinen Füßen, und ein Gedanke, der sie vor einer Stunde noch mit Stolz erfüllt hatte, erfüllte sie nun mit Entsetzen: Sie hatte diesen Mann geküsst, ihre Lippen hatten seine Lippen berührt, denselben Mund, der den Auftrag gegeben hatte, das Gesicht dieser Frau zu zerschneiden, ihre Schönheit für immer zu zerstören.
Kalter Schweiß brach ihr aus, und ein Grauen kam über sie, wie sie es nur von der Vorstellung der ewigen Verdammnis kannte.
27
»Einhundertachtzigtausend
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