Die Principessa
da die Königin aufgrund der politischen Spannungen keine schottische Hofdame mehr in London wünschte. Clarissa hatte die Einsamkeit an McKinneys Seite, die sie so sehr gefürchtet hatte, im Laufe der Jahre mehr und mehr zu schätzen gelernt, so wie sie mit der Zeit auch ihren Gatten mehr und mehr zu schätzen und schließlich sogar zu lieben gelernt hatte. McKinney war stets aufmerksam und rücksichtsvoll; bei Tage ritten sie über die Felder, um die Arbeiten auf dem großen Besitz zu beaufsichtigen, der sich über viele Meilen um Moonrock erstreckte, die Abende verbrachten sie am Kamin mit gemeinsamer Lektüre oder sie zogen sich für Stunden in das mit modernsten Teleskopen bestückte Observatorium zurück, wo McKinney, der auf seiner Kavaliersreise durch Italien einst in Padua den berühmten Galileo kennen gelernt hatte, sie in die Geheimnisse der Astronomie einweihte. Und wie zartfühlend hatte er sie getröstet, als sie durch eine Fehlgeburt – eine Strafe für ihren Wankelmut vor der Ehe? – ihr lang ersehntes Kind verloren und der Arzt ihr eröffnet hatte, dass sie nie weder einen Sohn noch eine Tochter haben würde. Wegen ihr hatte er sogar seine Freunde vernachlässigt, den presbyterianischen Pfarrer aus dem Dorf, seinen Gutsverwalter und einen Baronet aus der Nachbarschaft, mit denen er sich jede Woche einmal traf, um mit ihnen in einem Dialekt zu debattieren, von dem Clarissa kaum ein Wort verstand. McKinney war ein so ausgeglichener, vernünftiger Mann, der sich niemals ereiferte, außer bei diesen Debatten, in denen es, wie Clarissa immerhin wusste, um Politikging, um den Kampf zwischen dem König und dem Parlament, vor allem aber um ein Gebetbuch, das der König allen Untertanen zum Gebrauch aufzwingen wollte. Wenn McKinney sie auf Wallfahrt schickte, damit sie in Rom für ihn betete, stand dies ganz und gar im Widerspruch zu seinem Wesen, war so überaus seltsam, dass seine Bitte, so fürchtete sie, nur ein Vorwand sein konnte – aber Vorwand wofür?
Camillos Stimme holte sie in die Gegenwart zurück.
»Wenn der Cavaliere unser Feind ist, muss ich den Pfirsich dann nicht wegwerfen?«, fragte er und schaute seine Mutter mit seinen großen dunklen Knopfaugen an wie ein Kind.
Olimpia stutzte eine Sekunde, dann strahlte sie übers ganze Gesicht. »Was für ein kluger junger Mann du doch bist!«, lobte sie ihn und strich ihm liebevoll über das Haar, das so schwarz und dicht war wie ihr eigenes in ihrer Jugend. »Ja, bring den Korb in die Küche und sag dem Koch, er soll alles den Schweinen geben.« Während Camillo den riesigen Korb in die Höhe stemmte und mit vor Stolz rotem Gesicht davonschleppte, wandte Olimpia sich wieder Clarissa zu. »Und du«, sagte sie ernst, »bete, mein Kind, bete! Wenn es deinem Mann nicht hilft, hilft es dir.«
7
Am nächsten Morgen verließ Clarissa in aller Frühe das Haus. Ja, sie wollte beten. Als sie durch das Tor ins Freie trat, verhüllte sie das Gesicht mit ihrem Schleier und schlug die Richtung nach Sant’ Andrea della Valle ein, jener Theatinerkirche unweit der Piazza Navona, unter deren prachtvoller Kuppel sie schon bei ihrem ersten Aufenthalt in Rom oft die Frühmesse besucht hatte. Doch dann, ohne zu wissen warum, entschied sie sich anders. Mitten auf der Piazza machte sie kehrt und nahm die vordem Portal des Palazzo Pamphili bereitstehende Kutsche, um in die entgegengesetzte Richtung zu fahren, zur Brücke über den Tiber.
Vor Sankt Peter ließ sie die Kutsche halten. Magisch zog der neue Glockenturm ihre Blicke an. Wie sehr hatte sie einst gehofft, diesen Turm mit eigenen Augen zu sehen, und mit welcher Empörung erfüllte sie jetzt, da er sich Stein auf Stein vor ihr erhob, sein Anblick. Und doch konnte sie ihren Blick nicht von ihm lassen, wieder und wieder musste sie ihn betrachten. Sie stieg aus dem Wagen und ging auf die Basilika zu. Der Campanile schien gar keine Wände zu haben, nur Säulen und Pfeiler, die in einem zwiebelartigen Knauf zusammenstrebten. Die Wirkung war in der Realität noch viel stärker als auf dem Plan, den Clarissa vor Jahren gesehen hatte. Trotz der gewaltigen Größe des Gotteshauses wirkte alles so wunderbar leicht und harmonisch.
Plötzlich sprach jemand sie an, mit einer warmen und gleichzeitig männlichen Stimme, so fremd wie aus einer anderen Welt und doch auf wundersame Weise vertraut.
»Ich habe gewusst, dass Sie es sind, Principessa.«
Clarissa drehte sich so abrupt um, dass ihr der Schleier vom Kopf rutschte.
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