Die Principessa
dich, die Bildsäule anzurühren«, zischte er, »und du bist ein toter Mann!«
»Vergebung, Cavaliere! Schonen Sie mein Leben! Im Namen des Erlösers!«
Mit vor Entsetzen geweiteten Augen blickte Cesarini zu ihm auf, den Kopf im Nacken, sodass der riesige Adamsapfel an seinem Hals auf und ab ruckte. Ohne ihn einen Moment aus den Augen zu lassen, spähte Lorenzo um sich. Als er sah, wie die anderen rings im Kreis die Waffen sinken ließen und Schritt für Schritt zurückwichen, wusste er, dass keine Gefahr mehr zu fürchten war. Voller Verachtung spuckte er Cesarini ins Gesicht.
»Verschwinde!«, befahl er und trat ihm in den Hintern, sodass der Monsignore sich wie ein verängstigter Straßenköter auf allen vieren davonmachte, gefolgt von seinen Kumpanen.
Lorenzo wartete, bis die Bande wieder in der Gasse verschwand, aus der sie aufgetaucht war, dann steckte er seinen Degen in die Scheide. Als er sich umdrehte und in das Gesicht des tönernen Papstes sah, der wie zum Segen die Hand über ihm erhob, hörte er noch einmal Cesarinis Stimme. Wie die Stimme eines Geistes wehte sie aus der Dunkelheit über den Platz:
»Hahaha! Rette nur seine Statue, Cavaliere Bernini! Urban wird es dir in der Hölle danken. Vor einer Stunde hat der Teufel seine Seele geholt. Hahaha!«
Während die Stimme verhallte, begriff Lorenzo endlich, was geschehen war. Papst Urban war tot. Sein Förderer, sein Gönner – der Mann, der sich um ihn gesorgt hatte, seit er einen Meißel in der Hand halten konnte, war nicht mehr auf dieser Welt. Klammheimliche Angst beschlich Lorenzo, um sich immer weiter in ihm auszubreiten, und seine Hand, die eben noch so sicher den Degen geführt hatte, begann zu zittern, als er sie nach der Statue ausstreckte.
»Vater«, flüsterte er, während heiße Tränen aus seinen Augen rannen, »warum hast du mich verlassen?«
Er umarmte den kalten, massigen Körper des Papstes, streichelte und liebkoste ihn, als könne er so dem toten Material Leben eingeben, wie er es mit seiner Kunst schon so viele, viele Male getan hatte, und küsste Urbans Gesicht, auf die Stirn, auf die Wangen. Doch plötzlich geschah etwas Sonderbares. Durch den Schleier seiner Tränen hindurch war es Lorenzo, als würde sich die Miene des Papstes verwandeln, die Augen verengten sich, die Mundwinkel zogen sich in die Tiefe, und mit einem Mal erkannte Lorenzo in den vertrauten Zügen, die er all die Jahre so oft studiert hatte, um sie in Stein und Bronze zu verewigen, nicht mehr die gütige Strenge von einst, sondern ein böses, gemeines, niederträchtiges Grinsen. Als wäre all die Fürsorge, die Lorenzo sein Leben lang von diesem Mann erfahren hatte, nur Lug und Trug gewesen, als würde der Papst ihm erst jetzt, in der Stunde seines Todes, sein wahres, wirkliches Gesicht zeigen, um ihn aus dem Jenseits zu verhöhnen. Von einer Sekunde zur anderen wich Lorenzos Angst aufbrausender Wut.
»Was hast du dir dabei gedacht?«, rief er. »Mich hier im Stich zu lassen! Scheißkerl! Wie konntest du das tun?« Blind vor Zorn griff er nach der Eisenstange, die Cesarini hatte fallen lassen.
»Was – du hast beschlossen zu sterben? Da!«, schrie er und schlug mit der Stange auf die Statue ein. »Krepieren sollst du! Krepieren, krepieren, krepieren!«
Wieder und wieder hob Lorenzo die Stange, wieder und wieder ließ er sie auf die tönerne Bildsäule niederfahren, die in tausendStücke zerbarst, bis seine Hände blutig waren und er vor Erschöpfung zu Boden sank, wo er in Tränen ausbrach, schluchzend und am ganzen Körper bebend wie ein Kind.
9
Im Palazzo Pamphili herrschte angespannte Nervosität. Keine Viertelstunde verging, ohne dass der bronzene Türklopfer am Portal anschlug. Von morgens bis abends meldeten die Diener die bedeutendsten Würdenträger der Stadt: Kardinäle und Bischöfe, Prälaten und Äbte, Bankiers und ausländische Gesandte. Sie alle machten Donna Olimpia ihre Aufwartung, die jeden Besucher mit ausgesuchter Höflichkeit empfing. Sie zog sich mit einem oder mehreren von ihnen in ihrem Salon zurück, aus dem die Exzellenzen oft erst nach stundenlanger Unterredung wieder hervorkamen, ernst und bedeutungsvoll schweigend die einen, aufgeregt tuschelnd die anderen. Denn Donna Olimpias Schwager, der inzwischen siebzig Jahre alte Kardinal Pamphili, galt als möglicher neuer Papst, und die Herrin des Hauses setzte alles daran, dieses Ziel zu erreichen.
Urban war am 29. Juli des Jahres 1644 gestorben. Zehn Tage später wurde das
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