Die Principessa
diesem Fall bliebe mir nichts anderes übrig, als das Kind mit allen Mitteln zu retten. Sein Anrecht auf das von Gott gewollte Leben bleibt von den Verfehlungen seines Vaters unberührt. Doch wozu denn all die sonderbaren Fragen, Monsignore?«
»Um mich zu vergewissern«, sagte Virgilio Spada mit einem zufriedenen Lächeln und legte ihm eine Hand auf die Schulter, »dass Sie der Mann sind, den ich in Ihnen sah.«
Dennoch blickte er der ersten Sitzung der Kongregation, die für den 27. März 1645 einberufen wurde, mit gemischten Gefühlen entgegen. Die Sache war immerhin von solcher Wichtigkeit, dass außer den Gutachtern sowie dem beschuldigten Architekten ein Dutzend Kardinäle und sogar Papst Innozenz persönlich erschienen. Ohne lange um den heißen Brei herumzureden, kam Spada sogleich auf die alles entscheidende Frage zu sprechen: Hätte der Erbauer des Turms, Cavaliere Lorenzo Bernini, wissen müssen, dass die Fundamente die große Last nicht tragen konnten? Der Beschuldigte selbst wies, wie nicht anders zu erwarten, jede Schuld von sich. Anfangs sichtlich nervös, berief er sich darauf, dass er Papst Urban selbst gewarnt habe, dieser aber seinen Argumenten kein Ohr hatte schenken wollen. Als Innozenz bei diesen Worten nickte, fasste Bernini sichtbar Zuversicht und führte seine Rede eloquent und selbstbewusst zu Ende. Nach ihm erhoben die Gutachter ihre Stimme. Sie warfen Bernini zwar allgemeine Nachlässigkeit vor, scheuten auch nicht davor zurück, seine Fehler beim Namen zu nennen, doch zu Spadas Erleichterung konzentrierten sie sich weniger auf die Schuldfrage als auf mögliche Ansätze zu einer Lösung. Alle Vorschläge zielten darauf ab, die Fundamente des Turmes zu stärken, um das Bauwerk zu erhalten. Von Abriss war keine Rede.
Nur einer der Gutachter sagte während der gesamten Sitzung kein Wort: Francesco Borromini. Ganz in Schwarz gekleidet, saß er am unteren Ende des Tisches und verfolgte schweigend die Vorträge seiner Kollegen. Als die Kommission sich vertagte, waren alle Blicke auf ihn gerichtet.
Bei der nächsten Sitzung sollte er sein Gutachten vortragen. Wie würde sein Votum lauten?
12
Diese Frage verfolgte auch Clarissa in ihren einsamen Stunden – und davon gab es viele. Über drei Jahre dauerte nun schon die Wallfahrt für ihren Ehemann, Jahre, die sie vor allem im Gebet für seine Gesundheit verbracht hatte. Sie hatte die fünf Basiliken aufgesucht: In Sankt Peter hatte sie am Grab des Apostels gebetet und in der Lateranbasilika vor dem Papstaltar, in Santa Maria Maggiore an der Krippe Jesu, in Santa Croce in Gerusalemme unter dem Kreuz Christi und in San Paolo fuori le mura an der Hinrichtungsstätte des heiligen Paulus. Sie hatte gebetet in den sieben Pilgerkirchen, gebetet in den Katakomben der Via Appia, gebetet auf der Heiligen Treppe, die sie reuigen Herzens auf den Knien erklommen hatte – sogar eine Reise ins ferne Loreto hatte sie unternommen, zum Heiligen Haus, in dem einst, als es noch im fernen Galiläa gestanden hatte, ein Engel der Gottesmutter Maria die frohe Botschaft verkündet hatte. Allein, McKinneys Zustand schien unverändert.
Wie konnte das nur sein? War er überhaupt krank? Die Zweifel nagten immer mehr an ihr, nicht nur im Heiligen Haus von Loreto, wo allein eine Inschrift –
non est impossibile apud Deum
: »nichts ist unmöglich vor Gott« – das Wunder erklärte, wonach Engel die Wohnung Marias vom Heiligen Land dorthin verbracht hatten. Zwar schickte McKinney ihr regelmäßig Briefe aus England, Monat für Monat einen, so pünktlich wie die Wiederkehr des vollen Mondes am nächtlichen Himmelszelt, doch stand kein Wort darin, das von seiner Genesung sprach oder Clarissa zurück in die Heimat rief, obwohl sie in ihren Briefen immer drängender darum bat, während sie gleichzeitig ganz tief in ihrem Innern und gleichsam vor ihr selbst verborgen die heimliche Hoffnung hegte, noch so lange in Rom bleiben zu können, bis der Streit um den Glockenturm beigelegt war.
Aber war ein solcher Wunsch nicht Sünde? Nahm sie mit ihrer heimlichen Hoffnung nicht zugleich in Kauf, dass die Leidenihres Mannes kein Ende nahmen? Ach, sie wollte ja nur, dass man Borromini lobte, wie es ihm gebührte, ohne dass Bernini Schaden litt.
In ihrer Seele herrschte ein solches Durcheinander, dass sie bei der heiligen Agnes Zuflucht nahm. Vor dem Altar der Hauskapelle – das Relief hatte die Plünderung des Palazzo Pamphili unversehrt überstanden – kniete sie nieder und
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