Die Principessa
faltete die Hände, um sich zu sammeln. Doch während sie das Mirakel der Heiligen betrachtete, deren nackten Leib ein Panzer aus Haar überwucherte, um sie vor den Übergriffen der Soldaten zu schützen, spürte sie nur, wie die Angst in ihr immer stärker wuchs. Die Angst vor diesen zwei Männern, die sie aus ihrem Leben verbannt hatte und die jetzt doch wieder Teil ihres Lebens geworden waren. Vor allem aber die Angst vor sich selbst.
»Was ist los mit dir?«
Clarissa schrak aus ihrer Andacht auf. Donna Olimpia stand vor ihr und schaute sie stirnrunzelnd an.
»Du hast doch etwas auf der Seele, seit langer Zeit schon. Was ist es, was dich quält?«
»Ach, Olimpia, wenn ich es nur selber wüsste.«
Clarissa zögerte. Sollte sie ihr Herz ausschütten? Olimpia war eine erfahrene Frau, die das Leben kannte und ihr vielleicht einen Rat geben konnte. Andererseits aber fürchtete sie sich vor dem strengen Urteil der Cousine.
Zum Glück nahm Olimpia ihr die Antwort ab: »Diese englische Unsitte, alles allein mit sich und dem Herrgott auszumachen, tut dir nicht gut. Wenn du mich fragst, ich glaube, ich weiß, was du brauchst – einen Beichtvater.«
»Einen Beichtvater?«, fragte Clarissa verwirrt. »Ich … ich bin seit Jahren nicht mehr zur Beichte gegangen. McKinney sieht in der Beichte den Versuch, sich der Verantwortung für das eigene Tun zu entziehen.«
»So, meint er das?« Olimpia schüttelte den Kopf. »Wir in Rom meinen das nicht. Schließlich gibt es immer wieder Momente imLeben, in denen ein Mensch die Hilfe eines anderen braucht, um mit sich ins Reine zu kommen.«
Konnte Olimpia Gedanken lesen? Genau das war es, wonach Clarissa sich sehnte. Schon bei der Vorstellung, sich jemandem anzuvertrauen, spürte sie Erleichterung.
»Vielleicht hast du Recht«, sagte sie schließlich. »Kannst du mir einen Priester empfehlen?«
»Aber natürlich.« Olimpia lachte. »Das wäre ja ein Jammer, wenn die Schwägerin des Papstes dir keinen Beichtvater nennen könnte!«
Bereits am nächsten Morgen machte Clarissa sich auf den Weg. Vom Palazzo Pamphili bis zu ihrem Ziel waren es nur wenige Minuten. Die Kutsche hielt vor einem großen renovierten Gebäude, dessen Fassade mit reichem Stuck- und Skulpturenschmuck versehen war.
Als Clarissa an der Pforte pochte, war ihr ein wenig bang zumute. Was für ein Mann ihr künftiger Beichtvater wohl war? In ihrer Jugend hatte sie sich ohne Bedenken jeder Stimme anvertraut, die durch das Gitter des Beichtstuhls aus dem geheimnisvollen Dunkel zu ihr flüsterte, als gehöre sie zu keiner wirklichen Person, sondern zu einem guten, vom Himmel gesandten Geist. Doch jetzt, als erwachsene Frau?
Der Diener, der ihr öffnete, führte sie durch einen hellen, lichtdurchfluteten Innenhof und dann in eine tonnenüberwölbte Kolonnade, die in einen zweiten
cortile
zu münden schien, in dem eine mannsgroße Kriegerfigur aufgestellt war. Doch was war das? Als Clarissa die Galerie entlangschritt, traute sie ihren Sinnen nicht: Der Boden, der vom Eingang aus völlig eben ausgesehen hatte, stieg plötzlich unter ihren Füßen an, die Säulen wurden immer kürzer, der Gang verengte sich – die ganze Kolonnade war ein Trugbild falscher Größe. Vor Freude machte ihr Herz einen Sprung: Diese Säulenfolge kannte sie! Das war die Scheinkolonnade, die Signor Borromini für ihr
appartamento
entworfen hatte, als er noch Francesco Castelli hieß.
Ein untersetzter Mann in schwarzer Seidensoutane kam ihr lächelnd entgegen. Mit seinem federnden Gang und den wachen Augen unter den buschigen Brauen war er ihr sogleich sympathisch.
»Monsignore Spada?«, fragte sie und reichte ihm die Hand.
»Und Sie müssen Lady McKinney sein«, antwortete er ihr in fließendem Englisch. »Seien Sie willkommen, Principessa!«
»Was für eine wunderbare Art, Gäste zu empfangen«, erwiderte sie und zeigte auf die Säulen. »Nichts ist so, wie es scheint.«
»Nicht wahr?« Er nickte eifrig. »Die Kolonnade ist mein Lieblingsort. Sie verblüfft die Sinne und belehrt den Verstand. Man wird darin so augenfällig gewahr, dass vieles auf der Welt nur Lug und Trug ist. Außerdem«, fügte er mit einem Blick auf den Krieger hinzu, der ihm in Wirklichkeit kaum bis zur Brust reichte, »erinnert man sich daran, wie klein und unbedeutend wir Menschen doch sind. Aber was führt Sie zu mir, Principessa? Donna Olimpia sprach von einer Seelenpein?«
Der kleine Monsignore begegnete ihr so ungezwungen und freundlich, dass Clarissa
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