Die Principessa
schon bei den ersten Sätzen, die sie zur Begrüßung tauschten, ein Gefühl von Vertrautheit verspürte, als würden sie einander seit Jahren kennen. Und da er auch im weiteren Verlauf des Gesprächs seine Fragen mit der offenen und einfachen Selbstverständlichkeit eines Arztes stellte, kostete es sie zu ihrem Erstaunen gar keine Überwindung, sich diesem Mann zu offenbaren, obwohl sie nicht mal den Schutz eines Beichtstuhles genoss, sondern im hellen Tageslicht dem Priester auf einer Bank gegenübersaß. Nach einer Stunde hatte sie ihm fast ihr ganzes Herz ausgeschüttet.
»Ich habe mich«, schloss sie ihr Bekenntnis, »diesen beiden Männern zugewandt, Ehrwürdiger Vater, zwei Architekten, die Gott für einander bestimmt hat, damit sie zusammen das neue Rom erbauen, doch ich habe sie entzweit. Habe ich Gottes Pläne durchkreuzt?«
»Die Wege des Herrn sind zwar unerforschlich, Principessa«, erwiderte Spada nachdenklich, »dennoch ist es immer wiederunsere Aufgabe, sie zu deuten. Wie hat der heilige Augustinus gesagt? ›
Credo quia absurdum
– ich glaube, weil es unbegreifbar ist.‹ Vielleicht ist alles Gottes Wille und Ihre Not ein Fingerzeig.«
»Aber was für eine Absicht kann sich dahinter verbergen? Darf ich in Rom sein, wenn mein Mann in Schottland an Gallenfieber leidet?«
»Wenn Gott Sie ein zweites Mal in Seine Stadt geschickt hat, dann hatte Er dafür einen Grund.« Spada schwieg eine lange Weile. »Vielleicht«, sagte er schließlich, »ist die Erkrankung Ihres Mannes sogar der Schlüssel. Vielleicht können Sie für ihn bei Gott nur dann etwas bewirken, wenn Sie hier das Werk des Allmächtigen vorantreiben.«
»Das verstehe ich nicht, Monsignore.«
»Müssen wir immer verstehen, um zu handeln?«, fragte er zurück. »Vielleicht hat Gott Sie ein zweites Mal hierher geschickt, damit Sie Ihren alten Fehler wieder gutmachen.«
»Und wie soll das geschehen?«, wollte Clarissa wissen.
»Indem Sie Borromini und Bernini – nennen wir sie ruhig beim Namen! –, die Männer, die Sie entzweit haben, ja, die durch Ihre Schuld zu Rivalen wurden, wieder miteinander versöhnen, damit sie ihre Aufgabe gemeinsam vollenden. Einen Sie, was Sie gespalten haben! Vielleicht ist das der Preis, den Gott von Ihnen verlangt, damit er die Gebete für Ihren Gatten erhört.«
»Glauben Sie wirklich?«, fragte Clarissa, überrascht von seiner Deutung der Dinge.
»
Credo quia absurdum«,
erwiderte Spada mit einem Lächeln.
»Aber meinen Sie nicht, Principessa, dass es auf den Versuch ankommt?«
13
Nach ihrer ersten Sitzung fasste die päpstliche Baukongregation zwei Beschlüsse: Cavaliere Bernini wurde angewiesen, die Fundamente seines Glockenturmes gründlichst auf ihre Tragfähigkeit zu untersuchen, und zwar mit dem erklärten Ziel, das Gebäude zu erhalten; zugleich aber forderte Innozenz die Architekten der Stadt Rom durch öffentlichen Anschlag auf, Entwürfe für die Neu- und Umgestaltung der Türme von Sankt Peter einzureichen, worüber in einem gesonderten Wettbewerb entschieden werden sollte.
Als der Aufruf im Juni 1645 erfolgte, machte Francesco Borromini sich mit bitterer Genugtuung ans Werk. Er wollte die Gelegenheit nutzen, nicht nur Berninis Turm, sondern auch seinen eigenen ersten Entwurf einer kritischen Prüfung zu unterziehen – alles, was ein Mensch auf Erden tat, war dazu da, verbessert zu werden.
Meist arbeitete er bei Kerzenschein in später Nacht, wenn kein Laut mehr von draußen in seine mönchische Behausung drang und den Fluss seiner Gedanken störte. Freihändig, ohne Lineal und Schablone, trug er seine Korrekturen in Berninis Pläne ein, die in so schamloser Weise seine eigenen Ideen widerspiegelten, auch wenn sie der effektvollen Manier des Cavaliere anverwandelt waren.
Borromini war entschlossen, das Bauwerk von allem überflüssigen Prunk zu reinigen. So wie einst auf den Resten heidnischer Tempel christliche Kirchen entstanden waren, so wuchs nun, während er mit Graphit die alte Rötelzeichnung überarbeitete, aus Berninis Unterbauten ein neuer Glockenturm hervor, ein noch viel leichterer Bau als der ursprüngliche. Trotz seiner geringen Höhe erschien er hoch und schlank und strebte, befreit von der Wucht des Turmhelms, so leicht und schwerelos gen Himmel wie eine Rauchsäule.
Ha, er würde es dem Gesindel zeigen! Borromini spülte seineKehle mit einem Schluck Wein. Nein, er hatte nicht vergessen, wie sie ihn all die Jahre verspottet hatten, nur weil es ihnen an der nötigen
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