Die Principessa
Francesco Borromini, imstande war, den Glockenturm zu retten.
Was wohl die Principessa dazu sagen würde? Würde sie ihn unterstützen? Wie immer, wenn er an sie dachte, wenn er im Geist ihr Gesicht vor sich sah, ihre Augen, ihre Lippen, den Klang ihrer Stimme hörte, wie sie sprach, wie sie lachte, wurde er ganz ruhig. Es war, als würde jemand Öl auf das schäumende Meer seiner Gefühle gießen, und alle Wogen in seinem Innern glätteten sich. Er staunte einmal mehr über die Macht, die sie über ihn hatte, selbst wenn sie nur in seinen Gedanken anwesend war. Warum wirkte sie in dieser Weise auf ihn? Worin bestand das Geheimnis? Er wusste nur eines: Wenn er vor ihr bestehen wollte, durfte er sich nicht von seinen Gefühlen hinreißen lassen, weder von seinem Hass noch von seinem Neid. In ihrer Gegenwart zählte nur die Kunst.
Und die Liebe? Er verbot sich, über diese Frage nachzudenken. Lady McKinney war eine verheiratete Frau.
Borromini schloss die Augen. Was für ein Glück, was für ein Geschenk, die Principessa zu kennen … Sie war der einzige Mensch, dem er vertraute, dem er sich verbunden fühlte, ihr allein hatte er damals seinen ersten Entwurf für den Glockenturm gezeigt. Wie lange war das her? Wirklich schon über zwanzig Jahre? Wie sie sich gefreut hatte – und dann ihre Hoffnung, den Turm verwirklicht zu sehen. Sie hatte ein so wunderbares Gespür, worauf es in der Architektur ankam. Was für ein Genuss würde es sein, mit ihr die neuen Pläne zu erörtern, bevor er sie zum Wettbewerb einreichte, um die Dinge in Ordnung zu bringen, genau so wie er es ihr vor Sankt Peter versprochen hatte …
Mit einem Mal verdüsterten sich seine Gedanken, und dieRuhe, die ihn eben noch erfüllt hatte, wich plötzlicher Angst. War es wirklich so klug, seine Pläne in dem Wettbewerb zu präsentieren, sie den begehrlichen Blicken seiner Konkurrenten auszusetzen? Ängstlich schaute er sich in dem kahlen Raum um, als würde er schon jetzt belauert, von unsichtbaren Augen, und er legte seine Hand auf die Zeichnung, wie um sie zu schützen. Die Pläne waren seine Kinder – durfte er sie der Öffentlichkeit preisgeben? Über den Ausgang solcher Wettbewerbe entschied fast nie die Leistung, meist gaben Bestechung und Intrigen den Ausschlag. Und wenn dann ein anderer gewann? Was würde den daran hindern, seine Entwürfe zu kopieren?
Die Vorstellung erfüllte Boromini mit Panik. Man hatte schon einmal seine Ideen gestohlen – wer konnte garantieren, dass es kein zweites Mal geschah?
14
Die Probegrabungen an den Fundamenten der Peterskirche wurden unverzüglich in Angriff genommen, eine Hundertschaft von Arbeitern der Dombauhütte war eigens dafür abgestellt. Tiefer und tiefer drangen die Männer in das Erdreich vor, und Cavaliere Bernini, der erste Künstler Roms, war sich nicht zu schade, die Arbeiten in eigener Person zu leiten. Schicht für Schicht legte man die mit Steinen und Kies gefüllten Schächte frei, die Maderno ein halbes Menschenleben zuvor hatte aufmauern lassen, um die Fassadenfundamente in dem schwierigen, von zahllosen Wasseradern durchzogenen Boden abzusichern.
Ungeduldig riss Lorenzo sich Rock und Hemd vom Leib, stieg in die Baugrube hinab und nahm mit nacktem Oberkörper eine Spitzhacke zur Hand, um mit seinem Beispiel die Arbeiter anzutreiben. Er musste sich Gewissheit verschaffen. War derUntergrund sicher genug, um wenigstens den neuen Turm zu tragen, den er nach der ersten Sitzung der Baukongregation gezeichnet hatte? Um die Belastung zu verringern, hatte er in dem Entwurf den schweren Aufbau des dritten Obergeschosses durch eine leichte Arkade mit zierlichem Helm ersetzt. Dabei hatte er sich große Mühe gegeben, alles möglichst luftig erscheinen zu lassen, doch war er sich bewusst, dass der Turm auf dem Papier, auf dem er fast zu schweben schien, weitaus leichter wirkte, als er in der Realität sein würde.
Lorenzo arbeitete, dass ihm der Schweiß von der Stirn troff, und seine Hände waren bald voller Blasen. In siebzig Fuß Tiefe stießen sie auf eine Senke, die mit lockerem Erdreich aufgeschüttet war; darunter kamen Gruben zum Vorschein, die bis auf den tragfähigen Lehmboden ausgehoben und wiederum mit Kieselsteinen und Kalk angefüllt waren. Lorenzos Zuversicht stieg, Maderno hatte gute Arbeit geleistet! Doch als er acht Fuß tiefer die Holzpfähle erblickte, mit denen sein Vorgänger versucht hatte, die Fundamente der Fassade abzustützen, um die Belastung auf den wasserreichen
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