Die Principessa
ausschließlich und allein der ehemalige Dombaumeister Maderno die Verantwortung. Dass die für einen stabilen Unterbau notwendigen Abtreppungen im Fundament fehlen, entzog sich bei Baubeginn dem Wissen des Cavaliere Bernini ebenso wie die Tatsache, dass die Fundamentierung selbst erhebliche Mängel aufweist. Dennoch wiederhole ich: Die Gefahr, dass die Fassade einstürzen könnte, erachte ich unter Berücksichtigung aller Ergebnisse als gering. Darum schlage ich vor abzuwarten, bis der Turm sich vollständig gesetzt hat, und vorerst keine weiteren Geldmittel aufzuwenden, um später auf der Grundlage von Cavaliere Berninis Überarbeitung seines Entwurfs den Bau zu vollenden.«
Spada hatte den letzten Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da flog die Tür auf, und herein kam außer Atem und mit hochrotem Kopf Francesco Borromini.
»Ich entschuldige mich für meine Verspätung«, sagte er keuchend, nachdem er den Ring des Papstes geküsst und sich vor den Kardinälen verneigt hatte. »Aber dringende, nein allerdringendste Geschäfte hielten mich ab, rechtzeitig zu erscheinen.«
»Ihr Verhalten ist allerdings außergewöhnlich«, erwiderte Virgilio Spada scharf. »Wir erwarten eine Erklärung.«
Ohne Platz zu nehmen, schaute Borromini in die Runde, während sein Atem sich allmählich beruhigte. Als alle Blicke auf ihn gerichtet waren, erhob er endlich seine Stimme.
»Ich komme gerade von Sankt Peter.«
»Na und?«, fragte Spada.
»Im Mauerwerk sind neue Risse aufgetreten, es besteht akute Einsturzgefahr.« Ein irritiertes Raunen erhob sich. Borromini wartete ab, bis es sich legte. »Ja, Einsturzgefahr.« Er nickte ernst, und nach einer weiteren Pause fügte er hinzu: »Nicht nur für Madernos Fassade, sondern auch für die Kuppel.«
Eine Sekunde lang herrschte ungläubiges Schweigen. Niemand konnte fassen, was Borromini gerade verkündet hatte. Irritiert schaute man ihn an, manche schüttelten den Kopf. Spada war der Erste, der die Sprache wiederfand.
»Einsturzgefahr?«, wiederholte er.
Dann redeten plötzlich alle auf einmal.
»Welche Kuppel?«
»Doch nicht die Hauptkuppel?«
»Um Gottes willen! Die Kuppel Michelangelos?«
Niemand blieb auf seinem Stuhl sitzen. Rainaldi und Bolgi, Moschetti und Mola, Fontana, Longhi und Sassi, sogar der sonst so beherrschte Artusini – alle sprangen von den Plätzen auf, drängten sich um Borromini und bestürmten ihn mit Fragen, ein aufgeregtes Durcheinander, ein babylonisches Tohuwabohu, das in offenen Tumult auszuarten drohte, als plötzlich die schnarrende Stimme des Papstes dem Aufruhr ein Ende setzte.
»Ruhe!«, rief Innozenz mit erhobener Hand.
Im selben Augenblick verstummte das Geschrei. Alle Köpfe drehten sich zu ihm herum.
»Wir befehlen, die Behauptungen Signor Borrominis an Ort und Stelle in Augenschein zu nehmen.«
Der Befehl traf Lorenzo Bernini wie ein Faustschlag, und für einen Moment wurde ihm so schwindlig, dass er sich mit beiden Händen an die Lehnen seines Stuhles klammerte. Ohnmächtig sah er zu, wie der Papst ein paar Diener herbeiwinkte, die ihn auf dem Thron aus dem Saal trugen, während Spada und die übrigen Gutachter der Kommission zusammen mit Borromini nach Sankt Peter aufbrachen. Als auch die Kardinäle den Saal verließen, fühlte Lorenzo sich wie in einem bösen Alptraum: Er versuchte zu rennen, doch er war gelähmt, unfähig, auch nur einen Schritt zu tun, denn seine Beine waren schwer wie Blei und klebten am Boden, als hätte er Saugnäpfe unter den Füßen.
Aber was war ein Alptraum gegen die Wirklichkeit?
Drei Tage später verkündete Innozenz die Entscheidung. Mit seiner Unterschrift und dem päpstlichen Siegel verfügte er, dass der Glockenturm unverzüglich niedergelegt werden solle. Zugleich verurteilte er Cavaliere Bernini zur Zahlung einer Strafe von dreißigtausend Scudi sowie zur Übernahme sämtlicher Bau- und Abrisskosten. Zur Sicherung dieses Anspruchs belegte Innozenz den Besitz und das Bankvermögen des Verurteilten mit Beschlag.
19
»Wir haben beschlossen, dir den Umbau von San Giovanni in Laterano anzuvertrauen.«
»Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, Ewige Heiligkeit, um mich Eures Vertrauens würdig zu erweisen.«
Es war die erste Privataudienz, die Francesco Borromini beim Papst zuteil wurde, und sie hatte noch keine fünf Minuten gedauert, als Innozenz ihm einen Auftrag gab, der fast der Ernennung zum Dombaumeister gleichkam. Die Lateranbasilika war nach Sankt Peter das bedeutendste
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