Die Principessa
Donna Olimpia wünscht dich zu sehen. Sie erwartet deine Vorschläge für die Piazza Navona. Melde dich im Palazzo Pamphili!«
20
Tage und Wochen vergingen, ohne dass Borromini im Palazzo Pamphili erschien. Clarissa war zutiefst enttäuscht. Ob er mit dem Namen auch sein Wesen verändert hatte? Francesco Castelli, da war sie sicher, hätte sich nie so verhalten, wie Francesco Borromini es im Streit um den Glockenturm getan hatte. Nicht genug damit, dass er trotz ihres Bittens die Zerstörung des Campanile betrieben hatte, verweigerte er ihr jetzt seinen Besuch, obwohl sie ihn um eine Unterredung gebeten hatte. Es war wirklich, als ob ein Dämon in seinem Innern hause, der ihm seinen Willen aufzwang, und ihr war es nicht gelungen, diesen Dämon zu vertreiben.
Und Bernini? Wie hatte er die Schmach verkraftet, die ihm sein Rivale zugefügt hatte? Er war wie vom Erdboden verschwunden, seit Wochen hatte er sich nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt, und um seinen Verbleib rankten sich Besorgnis erregende Gerüchte. Es hieß, der Skandal sei ihm aufs Gemüt geschlagen und er leide an schwarzer Galle; dann wieder munkelte man, er liege krank auf den Tod in seinem Palazzo, in Erwartung, dass man sein Haus pfände und ihn mitsamt seiner Familie vor die Türe setze; manche behaupteten sogar, er habe sich aus Verzweiflung das Leben genommen.
Clarissa war entsetzt bei der Vorstellung, dem Cavaliere könne etwas zugestoßen sein, und wenn sie ihn in der Kapelle des Palazzo Pamphili in ihre Gebete einschloss, überkamen sie schlimme Schuldgefühle. War es möglich, dass er sich wirklich etwas angetan hatte? Musste sie ihn nicht aufsuchen, um sich Gewissheit zu verschaffen? Sie zögerte eine Woche, zwei Wochen, einen Monat, ohne sich entscheiden zu können. Warum machte sie sich solche Sorgen um ihn? Er war ihr doch fast fremd, ein berühmter Mann, dem sie ein paar Mal in ihrem Leben begegnet war, mehr nicht. Das war die Wahrheit – und gleichzeitig eine Lüge. In ihrer Not hoffte Clarissa auf Nachricht aus England. Wann würde McKinney sie endlich zurück in die Heimat rufen? Seit fast einem halben Jahr hatte sie keine Post mehr von ihrem Mann bekommen. Als auch der nächste Monat ohne einen Brief von ihm verging, machte sie sich auf den Weg.
Der Diener, der ihr am Abend in der Via della Mercede die Tür öffnete, empfing sie mit einem Kerzenleuchter in der Hand. Dunkel und leer lag die Eingangshalle da, die bei ihrem ersten Besuch vom Geplapper und Lachen der Kinder erfüllt gewesen war. Während der Diener voranging, schienen die Schatten sie im flackernden Kerzenlicht aus den Ecken wie Kobolde anzuspringen. Von ferne war ein gleichmäßiges Hämmern zu hören, das mit jedem Schritt lauter wurde.
Clarissa atmete auf. Gott sei Dank, er lebte!
Das Atelier war taghell erleuchtet. Bernini stand mit demRücken zur Tür und arbeitete mit Schlägel und Meißel an einer sitzenden Frauenfigur. Als der Diener sich räusperte, drehte er sich um. Ernst sah er aus, auch ein wenig blass, und statt seiner sonst so prachtvollen Gewänder trug er nur einen einfachen Arbeitskittel, aber krank schien er nicht zu sein.
»Principessa?« Irritiert, fast erschrocken sah er sie an.
»Sie sind allein im Haus, Cavaliere? Wo ist Ihre Familie?«
»Meine Frau ist mit den Kindern aufs Land gefahren. Ich hatte das Bedürfnis, allein zu sein.«
»Dann werde ich Sie gleich wieder verlassen. Ich wollte mich nur überzeugen, dass es Ihnen wohl ergeht.«
»Bitte, bleiben Sie!«, sagte er. »Ich bin froh, dass Sie da sind. Ich wusste ja nicht, wie schwer es ist, allein zu sein.«
Mit einem Lächeln legte er Schlägel und Meißel beiseite und kam zu ihr. Wie anders wirkte er heute auf sie! Ohne jede Pose redete er, ruhig und freundlich, aller Hochmut und Spott waren aus seinem Gesicht verschwunden. Nur Wärme und Zuneigung strömten von ihm aus, während er sie mit seinen dunklen Augen anblickte. Es war, als habe ein Maler sein Bildnis überarbeitet und dabei ein paar störende Flecken entfernt.
»Ich bin auch froh, dass ich gekommen bin«, sagte sie leise. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass sie seinen Blick nicht länger erwidern sollte, und mit einer Kopfbewegung in Richtung seiner Skulptur fragte sie: »Was stellt die Frau dar?«
»Die schönste Tugend der Welt, die am Ende von der Zeit enthüllt wird – hoffentlich.«
Clarissa begriff nicht sogleich. Welche Tugend meinte er? Die Gerechtigkeit? Die Tapferkeit? Oder – sie hoffte, dass
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