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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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sie sich irrte – die Rache? Sie spürte, es musste etwas mit der fürchterlichen Niederlage zu tun haben, die er erlitten hatte, mit seinem verletzten Stolz. Die Frauenfigur, eine schöne, erhabene Gestalt mit einem strahlenden Lächeln, saß auf einer Weltkugel, in der Hand hielt sie eine Sonne, während über ihr ein Schleier fortgezogen wurde. Der Schleier, das musste die Zeit sein, aber die Frau?
    Plötzlich ging Clarissa ein Licht auf. »Sie meinen die Wahrheit, nicht wahr? Dass sie ans Licht kommt?«
    »Ja.« Er nickte, und ein Stein fiel ihr vom Herzen. »›Die Zeit enthüllt die Wahrheit.‹ Eine allegorische Spielerei. Um mich zu trösten«, fügte er mit einer Ehrlichkeit hinzu, die sie überraschte. »Und vielleicht auch, um den Glauben an meinen Stern wiederzuerlangen.«
    »Ich bin sehr unglücklich, dass alles so gekommen ist.«
    »Wer weiß, vielleicht hat es auch sein Gutes, wenn der Beifall der Welt für eine Weile verstummt. Man denkt plötzlich anders über die Dinge und begreift, dass vieles von dem, wonach man strebt, nicht der Mühe wert ist, dass am Ende nur ganz wenige Dinge zählen.«
    »Der Turm gehört dazu«, erwiderte sie. »Ich wollte helfen, ihn zu retten. Aber es war mir nicht vergönnt – ich bin gescheitert.«
    Nachdenklich schüttelte er den Kopf. »Nein, Principessa. Eine Frau wie Sie scheitert nie. Gott, wenn es ihn denn wirklich gibt, ist ein Künstler, und er hat sich etwas dabei gedacht, als er Sie erschuf. Alles, was Sie tun, ist Teil eines Gelingens – doch, doch«, beharrte er, als sie ihm widersprechen wollte, »auch wenn Sie vielleicht selbst nicht wissen, zu welchem Ende es führt.« Er öffnete einen Wandschrank und holte etwas daraus hervor. »Das möchte ich Ihnen schenken«, sagte er und reichte ihr eine Schatulle. »Als Dank dafür, dass es Sie gibt.«
    Als sie die Schatulle aufklappte, biss sie sich auf die Lippe. »Das kann ich nicht annehmen!«, sagte sie. Von einem schwarzen Samtbett funkelte ihr ein walnussgroßer Smaragd entgegen: derselbe Ring, den sie Bernini vor Jahren im Auftrag des englischen Königs überreicht hatte.
    »Bitte, Sie würden mir eine große Freude machen. Ich hatte schon damals gesagt, dass er Ihnen viel besser steht als mir. Er ist für Sie geschaffen, er hat die Farbe Ihrer Augen.«
    »Ich weiß Ihre Großherzigkeit zu schätzen, Cavaliere, aber nein, es geht nicht.« Clarissa klappte die Schatulle zu und legte sie auf einen Tisch. »Es wäre unpassend – wir sind beide verheiratet.«
    Sie wandte den Kopf ab, um nicht länger in seine Augen zu sehen. Plötzlich zuckte sie zusammen. Sie blickte in ein Gesicht, das ihre eigenen Züge trug: das Bildnis der heiligen Theresa, hingestreckt auf einem marmornen Wolkenbett, über ihr ein Engel mit einem Speer.
    »Erkennen Sie sich wieder?«, fragte er.
    Clarissa spürte, wie ihre Hände zitterten. Die Ähnlichkeit war bestürzend, nicht nur in den äußeren Zügen, mehr noch in jenen Dingen, die kein Auge zu fassen vermag und die dennoch den Wert eines Kunstwerks wie den eines Menschen ausmachen: jenes unsichtbare Etwas jenseits aller sichtbaren Linien und Formen. Es war das Geheimnis, das Antlitz ihrer Seele, das sich hier in diesem Gesicht aus Stein widerspiegelte, ihre eigene, unverhüllte Wahrheit.
    »›Ein Pfeil drang hin und wider in mein Herz‹«, flüsterten ihre Lippen Worte, die sie längst vergessen glaubte. »›Unendlich war die Süße dieses Schmerzes, und die Liebe erfüllte mich ganz und gar …‹«
    Fasziniert und entsetzt zugleich betrachtete sie ihr Ebenbild. Was bedeutete im Vergleich dazu ein Diamant? Kein Schatz der Welt kam diesem Wunder gleich. Bernini hatte sie neu erschaffen, ihre Seele bloßgelegt, sie ausgeleuchtet bis in ihre verborgensten Kammern. Er hatte sie erkannt, wie noch kein Mann sie je erkannt hatte. Was musste er für sie empfinden, wenn er so tief in ihr Innerstes vorgedrungen war?
    »Ich liebe Sie«, sagte er und griff nach ihrer Hand. »Ich liebe Sie, wie ich noch keine andere Frau geliebt habe. Ich wollte es mir selbst nicht eingestehen, hoffte sogar, dass es vorübergehen würde, aber als ich Sie diesen Raum betreten sah, wusste ich, dass dieser Wunsch vergebens war.«
    Wie nackt stand sie vor ihm, jeder Verhüllung entkleidet. Sie wollte gehen – warum ging sie nicht? Sie wollte ihn am Weiterreden hindern – stattdessen hörte sie ihm zu, am ganzen Körper zitternd und voller Angst. Sie war so durcheinander, so vollkommen außer sich, dass

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