Die Prinzen Von Irland
man sicher sein, garantiert Tribut
einfordern wollen und auf die übliche Art ihre Söhne als Geiseln nehmen, damit
sie sich gebührend verhielten.
»Unsere Söhne dem
Kerl aus Munster ausliefern?«, schrien sie. »Diesem Emporkömmling? Wenn die
O’Neills nicht fähig sind, uns zu verteidigen, welches Recht haben sie dann,
uns diesem Kerl vorzusetzen?«, fragten sie.
Die Menschen aus
Leinster mochten von den Wikingern, als sie erstmals in Dyflin landeten,
halten, was sie wollten, aber die beiden Gemeinschaften hatten nun bereits seit
Generationen zusammengelebt. Sie hatten untereinander geheiratet. Ja, König
Sitric von Dyflin war sogar der Neffe des Königs von Leinster. Viele unter den
Wikingern waren zwar noch Heiden, aber wenn es um Fragen der Ehre ging, musste
sogar die Religion in den Hintergrund treten. Insgesamt hatten sich die
Wikinger der Kontrolle durch den Hochkönig lange Zeit hartnäckig widersetzt,
und so waren sie wohl kaum geneigt, sich Brian Boru nur deshalb zu unterwerfen,
weil der O’Neill–Hochkönig, da er zu schwach war, um allein zu kämpfen, es von
ihnen verlangte.
Und so kam es, dass
der König von Leinster und der König von Dyflin in jenem Herbst beschlossen, sich
zu weigern, den Mann aus Munster als ihren Herrn anzuerkennen. »Wenn er Kampf
wünscht«, erklärten sie, »dann soll er mehr davon bekommen, als ihm lieb ist.«
Und nun rückte der Mann aus Munster an, und sie waren gleichfalls ausgerückt,
um ihn zu empfangen.
Am nächsten Morgen
war der Himmel bedeckt, als Morann und seine Familie den Boyne überquerten, und
gegen Mittag war er immer noch ein trübes Grau. Mit ihrer Stimmung stand es
nicht zum Besten. Den Kindern kam die Reise unendlich lang vor; und er selbst
hatte den Verdacht, dass seine Gemahlin insgeheim lieber mit Harolds Frau und
ihren Nachbarn im Schutz der Mauern von Dyflin geblieben wäre. Mehr als einmal
hatte sie ihn zweifelnd nach Einzelheiten über den Ort ausgefragt, auf den sie
zustrebten. Würden sie dort auch wirklich sicherer sein als in Dyflin? Der
Nachmittag zog sich dahin, das Pferd, das vor den Wagen gespannt war, schien
sich noch langsamer dahinzuschleppen, und obwohl die Kinder sich nicht trauten,
es laut auszusprechen, fragten sie sich, ob sie in dieser öden Landschaft
womöglich noch eine weitere Nacht unter freiem Himmel verbringen mussten.
In der Dämmerung
stieß ein Strahl der Abendsonne plötzlich durch die Wolken, und ein Stück weit
voraus, hell erleuchtet auf einem Hügel, erblickten die Reisenden ein großes
Gemäuer: das Kloster Keils.
In ehrfürchtigem
Schweigen betrachteten die Kinder das riesige, von einer Mauer umgebene
Gelände.
»Es sieht ja wie eine
ganze Stadt aus«, bemerkte Moranns Frau voller Respekt.
»Es ist auch fast so
groß wie Dyflin«, sagte er. »Und ein sicherer Zufluchtsort. Heute Nacht kannst
du unbesorgt schlafen.«
Sie waren kaum
hundert Schritt weiter vorangekommen, als hinter ihnen wild galoppierendes
Pferdegetrappel näher kam. Sie erblickten einen in einen Mantel gehüllten Mann,
dessen Gesicht bleich wie das eines Gespenstes war. Er schien sie kaum zu
bemerken, während er näher stürmte, aber als Morann ihn fragte, ob er
irgendwelche Neuigkeiten hatte, schrie er zurück: »Wir haben verloren. Brian
Boru hat uns geschlagen. Jetzt ist er auf dem Weg nach Dyflin.«
*
* *
In
dem Raum herrschte Schweigen. Wenn man die Mönche in ihren wollenen Kutten
betrachtete, wie sie über ihre Schreibpulte gebeugt dasaßen, hätte man sie für
fünf riesige Mäuse halten können, die versuchten, sich in das Pergament vor
ihnen hineinzugraben.
Das Pergament – die
Haut eines neugeborenen Kalbs – war bleich und glatt, weil es in Urin oder
Kalkwasser eingeweicht wurde, bevor die Fellhaare mit einem Messer abgeschabt
wurden. Alltägliche Dokumente und Berichte wurden auf gewöhnliches Rindsleder
geschrieben, das es in Hülle und Fülle und zu billigen Preisen auf der Insel
gab. Aber für das Kopieren von heiligen Texten wie den Evangelien war nur
kostbares Pergament angemessen. Und hier, im Scriptorium des berühmten Klosters
Keils, konnten sie sich das feinste Pergament leisten.
Wenn er nun nach
draußen blickte, sah Osgar weiße Flocken fallen; geschwind und mit nur schwach
vernehmlichem Kratzen bewegte sich seine Hand über das Blatt. Fast zwei Monate
waren vergangen, seit er nach Keils gekommen war; bald würde er das Kloster
wieder verlassen.
Gebannt blickte er
auf den Schnee hinaus. Wie als Antwort auf
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