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Die Prinzen Von Irland

Die Prinzen Von Irland

Titel: Die Prinzen Von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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einem
reichen Mann in Rathmines draußen verheiratet. Hieß sie nicht Caoilinn?«
    »Oh.« Osgar blieb
stehen und starrte zu Boden. »Ja«, sagte er ruhig, »Caoilinn.«
    *
* *
    Es
war der letzte Tag vor ihrem Aufbruch.
    Osgar betrat das
Scriptorium und schritt geradewegs auf das große Buch auf dem Lesepult zu.
    Als er vor dem
Meisterwerk stand, fiel es Osgar schwer zu glauben, dass er es vermutlich nie
wieder betrachten würde. Zwei Monate lang hatte er nun seine rahmfarbenen
Pergamentseiten studiert und seine Wunder entdeckt.
    Wie eine himmlische
Stadt lag das Buch vor ihm ausgebreitet. Vier Evangelien: die vier
Himmelsrichtungen, die vier Kardinalpunkte des Kompasses. Bestand Irland nicht
auch aus vier Provinzen? Ja, sogar das mächtige römische Weltreich wurde in
seiner späten Zeit, als es christlich war, in vier Teile unterteilt. Am Anfang
jedes Evangeliums kamen drei prächtige, ganzseitige Illustrationen: zuerst das
geflügelte Symbol des Evangelisten – Matthäus der Mensch, Markus der Löwe,
Lukas das Kalb und Johannes der Adler; als Zweites kam eine Porträtseite; und
als Drittes folgten die Anfangsworte des Evangeliums, ausgearbeitet zu einem
riesigen Initialenmuster. Eine Dreifaltigkeit an den Seiten als Anfang jedes
der vier Evangelien. Drei und vier: die sieben Tage der Woche. Drei mal vier:
die zwölf Apostel.
    Die Pracht der Seiten
beruhte auf ihren Farben: die herrlich tiefen Rot– und Malventöne, all das
Purpur, Smaragdgrün und Saphirblau; die Färbung der Heiligengesichter, so blass
wie altes Elfenbein – und überall das leuchtende Gelb, das sie wie mit Gold
lackierte Holztafeln aussehen ließ.
    Besonders
faszinierend fand Osgar den Aufbau der Seiten. Dreifache Spiralen nach Art des
irischen Kleeblatts, eingeschlossen in Scheiben, Borten aus verflochtenen
Bändern und Knoten. Motive der ältesten Vergangenheit wurden mit christlichen
Symbolen – dem Adler des Johannes, dem Pfau als Symbol der Unbestechlichkeit
Christi – verbunden. Auch menschliche Figuren waren zu sehen, entweder in den
Ecken zu Spandrillen gruppiert oder um die Basis von goldenen Lettern
platziert. Die Muster nahmen kein Ende: ständig wiederholte und variierte
Verflechtungen von so orientalischer Raffinesse, dass das Auge sie niemals
entwirren konnte; Spiralscheiben, zu ganzen Trauben verknüpft wie Juwele,
Kreise und punktierte Flächen, schlangenhafte Formen und Filigranarbeit und doch
wurden diese Ausschweifungen keltischer Ornamentik von einer monumentalen
Geometrie der Komposition streng zusammengehalten.
    Oh, dies war das
Geheimnis, dachte Osgar, dies war das Wunder des Ganzen. Denn egal, ob es die
große kreuzförmige Darstellung der vier Evangelisten oder die mächtig
verschlungene Form des X–P–Symbols war – die Botschaft der illuminierten Seiten
war unmissverständlich. Genauso wie das Imperium des heidnischen Rom in seiner
späten Zeit mit seinen zahllosen Legionen und massiven Mauern versucht hatte,
dem Einstrom der Barbaren Einhalt zu gebieten, so zwang nun die Römische Kirche
mit der noch größeren Kraft und Autorität der wahren Religion der Anarchie der
Heiden ihre monumentale Ordnung auf und errichtete nicht nur eine kaiserliche,
sondern eine himmlische Stadt – zeitlos, ewig, allumfassend und umstrahlt vom
Licht des Heiligen Geistes.
    Doch nun musste er
mit Morann und Schwester Martha diesen Ort verlassen. Er würde die Nonne nach
Kildare begleiten und dann in die Berge nach Glendalough zurückkehren. Und
Morann würde nach Dyflin gehen und vielleicht Caoilinn sehen. Eigentlich sollte
er sich nicht beklagen. Das war das Leben, für das er sich entschieden hatte.
    »Die Handschrift des
heiligen Colum Cille.«
    Osgar erschrak, als
er hinter seiner Schulter diese Worte vernahm. Es war der alte Mönch, dem das
Scriptorium unterstand. Er hatte ihn überhaupt nicht kommen gehört.
    »So behauptet man
zumindest«, entgegnete er. Viele Leute schrieben das Buch von Keils dem
heiligen Colum Cille zu.
    St. Colum Cille, der
königliche Heilige und direkte Nachfahre von Niall der Neun Geiseln – sein Name
bedeutete »Taube der Kirche« der vor der Küste des nördlichen Britannien das
berühmte Inselkloster Iona gegründet hatte, war gewiss ein begnadeter Kalligraph
gewesen. Aber Colum Cille hatte nur ein Jahrhundert nach Sankt Patrick gelebt,
und Osgar, der in der Klosterbibliothek eine ganze Reihe Bücher eingehend
studiert hatte, neigte zu der Ansicht, dass das berühmte Buch aus späterer

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