Die Prinzen Von Irland
Dyflin wusste er
genau, wo sich Harolds Hof befand.
* * *
Erst als er zu rennen
aufhörte, entdeckte Bruder Osgar zu seiner Überraschung, dass er immer noch die
Streitaxt umklammert hielt.
Im
Augenblick war zwar keine Gefahr in Sicht, doch wer konnte sagen, welche
Gefahren da draußen auf dem Lande noch lauerten? Die Axt war ziemlich schwer,
aber er beschloss, sie vorerst noch nicht fortzuwerfen. Wo sollte er Zuflucht
suchen? Ganz in der Nähe erblickte er einen ausgebrannten Hof. Dort gab es
keinen Unterschlupf. Außerdem würden die Wikinger sicher auch hier
vorbeikommen. Morgen oder sobald er sicher war, dass sich keine Wikinger mehr
in der Gegend herumtrieben, würde er nach Dyflin zurückkehren; aber so lange
würde er weiterziehen, bis er irgendeinen Ort fand, wo er in Sicherheit war.
Sobald er wieder zu Atem gekommen war, hastete er weiter.
Er
kam an einem weiteren zerstörten Gehöft vorbei, stapfte durch ein Stück
Sumpfgelände und hatte gerade eine Landstraße mit einer guten Sicht auf die
umliegende Gegend erreicht, als er die Frau und die beiden Kinder sah, die in
einiger Entfernung vor ihm ritten. Als er die Gruppe erblickte, durchfuhr ihn
zuerst ein leichter Schock. Die Frau sah wie Caoilinn aus. Fast ohne es zu
merken, beschleunigte er seine Schritte. Nun erreichten die drei Pferde eine
leichte Erhebung auf der Straße, und als sie sie gerade passierte, wandte die
Frau sich halb um, und er bekam ihr Gesicht zu sehen. Das war Caoilinn – er war
sich fast sicher. Er rief nach ihr, aber sie hörte ihn nicht, und im nächsten
Augenblick waren die drei Reiter seinen Blicken entschwunden. Er begann zu
rennen.
Sie
waren in kurzem Galopp über eine ebene Strecke geritten und bereits weiter von
ihm entfernt, als er sie erneut erblickte. Dann verlor er sie aus den Augen.
Aber er rannte immer in die gleiche Richtung weiter, und als er nach einer
Weile durch ein kleines Waldstück kam, erkannte er, dass es die Stelle war, wo
er in seiner Jugend von Räubern überfallen worden war. Und kurz darauf sah er
auch, kaum eine Meile weit entfernt, wieder jenes große Bauerngehöft vor sich
liegen. Der große Holzstall, die strohbedeckten Scheunen und das stattliche
Wohnhaus waren noch vollkommen unversehrt. In diesem Moment gerieten die
Gebäude in einen breiten Streifen Sonnenschein, und während sie in sein sanftes
Abendlicht getaucht wurden, war ihm, als leuchteten sie wie die illuminierte
Seite eines Buchs. Es war Harolds Gehöft. Ein möglicher Zufluchtsort. Hierher
musste sich auch Caoilinn begeben haben. Freudig trat er auf das Anwesen zu.
Der
Zufahrtsweg war mit Gras bedeckt. Er wurde immer erregter, spürte neuen Schwung
in seinen Schritten.
Er
hatte fast das Tor erreicht, als er Caoilinn erblickte. Sie stand auf dem offenen
Vorplatz vor Harolds Haus. Ihre Kinder warteten bei den Pferden. Sie blickte
sich suchend um. Offenbar war niemand zu Hause. Ihr dunkles Haar fiel ihr auf
die Schultern – genauso, wie er es sich tausendmal ausgemalt hatte. Sein Herz
jauchzte. Als Witwe war sie sogar noch schöner, noch betörender, als er sie in
Erinnerung hatte. Er rannte auf sie zu.
Aber
sie sah ihn nicht. Sie schien immer noch nach jemandem zu suchen. Sie kam zum
Hoftor zurückgelaufen und spähte suchend in die Ferne. Dann sah er, wie sie ihn
anstarrte. Er winkte. Aber sie starrte ihn nur sprachlos an.
Zuerst
runzelte er enttäuscht die Brauen, dann lachte er. Ja, natürlich, eine
verdreckte Gestalt in einem Mönchshabit, mit einer Streitaxt in der Hand: Er
musste wahrlich einen sonderbaren Anblick bieten. Sie hatte ihn nicht erkannt.
»Caoilinn.
Ich bin’s, Osgar«, rief er.
Sie
machte immer noch ein ratloses Gesicht. Hatte sie ihn nicht verstanden? Sie
zeigte mit ausgestrecktem Finger auf ihn. Er winkte noch einmal. Sie schüttelte
den Kopf, zeigte wieder in seine Richtung, diesmal eindringlicher, auf etwas,
das sich offenbar hinter ihm befand; er hielt inne, wandte sich um.
Das
Pferd stand keine zehn Schritte hinter ihm. Es war im gleichen Moment wie er
stehen geblieben. Es musste die ganze Zeit hinter ihm hergeschritten sein, aber
in der Erregung, die ihn erfasst hatte, seit er Caoilinn gesehen hatte, hörte
er die Hufe auf dem Rasenweg nicht. Auf dem Pferd saß Sigurd.
»Ja,
Mönch, so sieht man sich wieder.« Der Krieger glotzte Osgar an, überlegte
offensichtlich, was er mit ihm tun sollte.
Instinktiv
umfasste Osgar die Streitaxt fester mit der Faust und begann zurückzuweichen.
Genau mit ihm
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