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Die Prinzen Von Irland

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Titel: Die Prinzen Von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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seine unglücklichen Eltern hatten sich schließlich in ihr Schicksal
gefügt, dass sie ihn nie mehr wieder sehen würden. Vielleicht um diesen großen
Verlust auszugleichen, hatten Ailred und seine nette Frau auf einem Stück Land,
das ihm gehörte und das vor dem Stadttor lag, ein Hospiz gegründet. Auf seiner
Pilgerreise hatte er oft solche Häuser gesehen, wo Kranke gepflegt wurden und
müde Reisende sich erholen konnten; in Dublin hatte es eine solche Einrichtung
bisher noch nicht gegeben. Seine Frau und er verbrachten jetzt sehr viel Zeit
dort. Er nannte es das Hospiz des heiligen Johannes des Täufers.
    Una ahnte, dass
Ailred und seine Frau trotz all ihrer Arbeit noch immer sehr einsam waren.
Vielleicht hatten sie deswegen, als Fionnualas Vater eines Tages über die
Probleme mit seiner Tochter klagte, das Angebot gemacht, sie in ihremHause aufzunehmen. »Im Hospiz gibt es so viele Dinge zu tun,
bei denen sie uns helfen kann«, hatte Ailred erklärt. »Sie wird uns wie eine
Tochter sein.« Und so wurde alles vereinbart. Samstags kehrte Fionnuala in das
Haus ihrer Eltern zurück und verbrachte mit ihnen den Sonntag. Doch von Montag
bis Freitag lebte sie bei Ailred und seiner Frau und half im Hospiz.
    Die Vereinbarung
hatte fast eine Woche bestens funktioniert.
    Una erinnerte sich
sehr gut an den Tag, als der Palmer ihren Vater aufgesucht hatte. Fionnuala war
erst seit einer Woche im Hospiz. »Es ist nicht gut für das Kind, in unserem Haus
allein unter alten Menschen zu sein«, hatte der Palmer erklärt. »Wir möchten,
dass sie eine Gefährtin hat, ein gleichaltriges feinfühliges Mädchen, das ihr
helfen könnte, sich wohler zu fühlen.«
    Warum nur
bezeichneten sie alle als feinfühlig? Lag es wirklich an ihrem Wesen? Oder
hatte es etwas mit ihrer Familie zu tun? Als ihre älteste Schwester starb und
ihre Brüder noch kleine Kinder waren, hatte Una gespürt, dass ihre Eltern auf
sie angewiesen waren. Vor allem ihr Vater.
    Kevin MacGowan, der
Silberschmied, war kein kräftiger Mann, sondern kurz gewachsen und dürr. Wenn
er sich besonders konzentriert über seine Arbeit beugte, verzog er das Gesicht
unbewusst zu einer Grimasse, so dass es aussah, als litte er unter argen
Schmerzen, und sie vermutete, dass es manchmal auch so war. Doch in seinem
zerbrechlichen Körper steckte eine feurige Seele, und seine Arbeit wurde geschätzt.
Darum schaute ihm Una auch gern zu, während er arbeitete. Seine Finger, die
schmal und knochig waren, schienen dann neue Kraft zu gewinnen, und seine Augen
strahlten.
    In den letzten Jahren
hatte die harte Arbeit ihres Vaters der Familie einen gewissen Wohlstand
eingebracht. Außerhalb Dublins bemaßen die Leute ihren Reichtum immer noch inVieh. Der Reichtum aber, den Kevin MacGowan sich erarbeitet
hatte, war der Silberschatz, den er in einer kleinen Kassette aufbewahrte.
»Sollte mir etwas zustoßen«, sagte er stets mit leichtem Stolz zu Una, »wird
dies der Familie weiterhelfen.«
    Er hatte für seine
Familie sehr umsichtig geplant. Die alte Kirche im Zentrum von Dublin war
einige Jahre nach der Schlacht von Clontarf in den Rang einer Kathedrale
erhoben und seitdem zu einem recht stattlichen Bauwerk erweitert worden. In
Westeuropa entwickelte sich die Architektur hin zum leichten, zarten gotischen
Stil, doch in Irland blieb der schwere, monumentale romanische Stil der
früheren Zeiten mit seinen hohen nackten Mauern und dicken geschwungenen Bögen
in Mode, und die Dubliner Kathedrale bot ein gutes Beispiel dafür. Mit ihren
mächtigen Mauern und ihrem hohen Dach überragte sie die kleine Stadt. Offiziell
hieß sie Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit, »Church of the Holy Trinity«, aber
alle nannten sie Christ Church. Und mindestens ein Mal im Monat führte Kevin
seine Tochter in diese Kathedrale.
    »Da, das echte Kreuz,
an dem unser Herrgott gekreuzigt wurde«, sagte er dann und zeigte dabei auf ein
kleines Holzstück, das in einem goldenen Kästchen aufbewahrt wurde. Die Christ
Church war berühmt für ihre Reliquiensammlung. »Da ist ein Teil des Kreuzes des
Sankt Petrus, da ein Stück des Gewands unserer Mutter Gottes, und das da ist
ein Stück von der Krippe, in der Christus geboren ist.« Die Kathedrale hatte sogar
einen Tropfen Milch der gesegneten Jungfrau Maria, mit der sie ihr Jesuskind
genährt hatte.
    Doch mehr noch als
diese heiligen Gegenstände wurden die beiden Schätze verehrt, die jeder
Besucher der Stadt Dublin sich anschaute. Einer war ein großes Kruzifix,

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