Die Prinzen Von Irland
Mädchen ist
eindeutig mit Conall durchgebrannt«, schloss der König.
Niemand sprach ein
Wort. Angesichts der Beleidigung, die diese Flucht für seinen Stolz und seine
Autorität darstellte, dachte Finbarr, musste man die Ruhe bewundern, die der König
bewahrte. Aber auch der König schien sich seine Gedanken zu machen. »Ich frage
mich«, sagte er nämlich bedächtig, »ob es womöglich noch einen anderen Grund
gegeben hat, der sie zu ihrer Flucht bewog.« Alle blickten einander an. Niemand
wusste einen solchen Grund zu nennen. Das Gesicht der Königin blieb unbewegt,
als sie einwarf: »Was wird jetzt aus dem Stier?«
»Ach ja, der Stier.«
Der König blickte in die Runde. »Den soll Finbarr beschaffen.« Er bedachte
Finbarr mit einem kalten Blick und fügte hinzu: »Sorg dafür, dass es dir
gelingt.«
Wieder neigte Finbarr
sein Haupt. Die Botschaft war klar. Der König akzeptierte, dass ihn persönlich
kein Vorwurf traf, und er gab ihm sogar noch eine Chance, sich auszuzeichnen.
Aber wenn es ihm nicht gelang, dem König zu beschaffen, wonach er verlangte,
konnte er gewärtigt sein, dass dies das Ende aller Gunst sein würde.
»Und die
Durchgebrannten?«, fragte einer der Häuptlinge.
»Nehmt euch fünfzig
Männer«, antwortete der König knapp, »und findet sie. Bringt mir das Mädchen
zurück.«
»Und Conall?«
Der König blickte ihn
verwundert an und sagte:
»Tötet ihn.«
II
TARA
1
Sie hatten sich zwei starke, schnelle
Reittiere und zwei gute Packpferde gewählt und in aller Eile zum Aufbruch
gerüstet. Conall hatte sich weder sein Schwert noch seinen Speer, sondern nur
ein Jagdmesser geholt; und einen kleinen Barren Silber, den er in seinem Gürtel
verbarg. Es war tiefe Nacht, als die beiden sich aus dem Lager schlichen, in
dem alles schlief. Wahrscheinlich würde es bis weit nach Tagesanbruch dauern,
bevor überhaupt jemand ihre Abwesenheit bemerkte. Ihre Verfolger würden nicht
wissen, in welche Richtung sie geflohen waren.
In welche Richtung
sollten sie fliehen? Hinauf in die Wildnis von Connacht? Nach Ulster hinüber,
wo sie ein Schiff finden konnten, das sie nach Alba brachte? Nein, entschied
Conall: Daran würde der König als Erstes denken; in wenigen Tagen würde er in
jedem Hafen Spione auf der Lauer liegen haben. Wenn sie über das Meer entkommen
wollten, war es besser, noch zu warten.
»Unsere größte
Hoffnung liegt im Süden«, erklärte Conall der Tochter des Fergus. »In Munster.«
Die ausgedehnte liebliche Küstenlinie im Südwesten mit ihren unzähligen Hügeln,
kleinen Buchten und Inseln bot nicht nur zahlreiche Verstecke, sondern war auch
weniger streng als jeder andere Landesteil der Kontrolle des Hochkönigs
unterworfen.
Also ritten sie in
der ersten Nacht südwärts. Das Land war eben, der Wald immer wieder
durchbrochen von offenem Weideland. Als der Tag anbrach, fanden sie sich von
einer Menschenleeren Moorlandschaft umgeben. Sie überquerten einen
kleinen Fluss, bis sie ein Stück trockenen Boden erreichten, wo sie sich zur
Rast niederlegten. Es war bereits früher Nachmittag, als Deirdre erwachte;
Conall stand neben ihr. »Ich habe die Gegend erkundet«, berichtete er. »Wir
sollten zügig weiterziehen.«
Den ganzen Nachmittag
ritten sie vorsichtig weiter. An vielen Stellen war das Unterholz neben ihnen
so dicht, dass es nur weniger Augenblicke bedurft hätte, um ein Versteck zu
finden; aber das bedeutete auch, dass man nur auf den großen Straßen vorankam.
Daher bestand immer Gefahr, gesehen zu werden. Einmal gelangten sie zu einem
sanft gewellten Heideland, wo sie eine leere Schäferhütte fanden. Als sie
später entdeckten, dass ein Bauerngehöft vor ihnen lag, machten sie einen
beschwerlichen Umweg, auf dem sie kostbare Zeit verloren. Es war bereits Mitte
Nachmittag, als sie einen Bergrücken passiert hatten und Conall anhielt. »Sieh
mal, dort.« Er zeigte nach Süden. Und Deirdre konnte in weiter Ferne eine
lange, dicht bewaldete Hügelkette erahnen, die sich aus der Ebene erhob. »Die
Slieve–Bloom–Moutains«, erklärte er. »Wenn wir es schaffen, sie bis morgen zu
erreichen, ohne dass wir von jemandem gesehen werden, wird es dem Hochkönig
schwer fallen, uns aufzutreiben.« Und die Bergkette war bereits recht nahe, als
sie sich bei Einbruch der Nacht in ihre Umhänge wickelten und unter den Sternen
niederlegten. Deirdre blieb jedoch noch eine Weile wach, bis auch sie in einen
unruhigen Schlaf sank. Zwei Mal in der Nacht glaubte sie das ferne Heulen
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