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Die Prinzen Von Irland

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Titel: Die Prinzen Von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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der Toten für eine Nacht unter den Lebenden weilen. Samhain,
der Wendepunkt, der Eintritt der dunklen Hälfte des Jahres. Samhain, der Tag,
da die Tiere geschlachtet werden, Samhain, das Fest des Unheimlichen. Und doch
war der Monat vor Samhain auf der westlichen Insel mit ihrem milden Klima
gewöhnlich eine freundliche Zeit.
    Deirdre hatte es
immer so empfunden. Manchmal waren die Tage ganz weich und neblig, manchmal
wirkte der klare blaue Himmel so hart, dass man glaubte, man könnte ihn
berühren. Sie liebte die herbstlichen Wälder, wenn das Laub braun wurde und
trocken unter ihren Schritten raschelte. Und wenn ein leichtes Frösteln in der
Luft lag, fühlte sie ein Prickeln im Blut.
    Drei Tage war Larine
bei ihnen auf ihrer kleinen Insel geblieben. Er hatte Heilkräuter mitgebracht,
um Conall zu behandeln. Die beiden Männer verbrachten ganze Stunden in
Zwiegespräch und Gebet; und auch wenn sie sich ausgeschlossen vorkam, konnte
Deirdre förmlich sehen, wie Conall an Körper und Geist gesund wurde. Nach
dieser Zeit schied Larine wieder von ihnen, aber bevor er sie wieder verließ,
erklärte er ihr freundlich:
    »Es wird noch eine
kleine Weile dauern, liebe Deirdre, bis Conall wieder vollkommen genesen ist.
Bleib daher so lange hier oder bei deinem Vater. Niemand wird euch behelligen.
der König wünscht, dass die Versöhnung auf dem Samhainfest vollkommen ist, dann
werdet ihr ihm eure Aufwartung machen.« Und da er
ihre Gedanken erriet, fügte er lächelnd hinzu: »Du brauchst vor der Königin
keine Angst mehr zu haben. Sie wird dir nun nichts mehr zu Leide tun.«
    Am nächsten Tag
brachte der Vater seine Tochter und Conall nach Hause.
    Der Monat, den sie in
Dubh Linn verbrachten, war eine glückliche Zeit. Wenn Deirdre noch Zweifel
gehegt hatte, ob Conall ihre Familie mögen würde, so wurden diese schon bald
ausgeräumt. Jeden Abend lauschte er ohne das geringste Zeichen von Langeweile
den Geschichten, die ihr Vater über seine Vorfahren erzählte; er spielte mit
ihren Brüdern Hurling und genoss harmlose Schwertkämpfe, bei denen er ihnen
nicht ein Haar krümmte. Er konnte Fergus sogar überreden, die zerbrochenen
Bohlen auf der Hürdenfurt zu ersetzen, und half ihm dabei. Sie stellte fest,
dass seine Wunden nicht nur verheilt waren, sondern dass man kaum noch die
Stellen erkennen konnte, wo sie gewesen waren. Wenn er sich nachts zu ihr
legte, hatte sie das Gefühl, als sei sein bleicher nackter Körper wieder so
vollkommen wie zuvor. Sie selbst konnte bereits spüren, wie das Kind in ihr
heranwuchs.
    »Er wird zu
Mittwinter auf die Welt kommen«, sagte sie glücklich, »wie eine Verheißung des
Frühlings.«
    »Du hast ›er‹
gesagt«, bemerkte Conall.
    »Ja, denn es wird ein
Junge, Conall«, antwortete sie. »Das spüre ich.«
    Sie spazierten
zusammen an den Ufern des Liffey, wo die Weiden ihre Äste im Wasser treiben
ließen, oder durchquerten die Eichen– und Buchenhaine. Jeden Tag besuchten sie
auch eine der drei kleinen heiligen Quellen, wo Conall ihren anschwellenden
Bauch mit Wasser besprengte und seine Hand über seine Rundung gleiten ließ. Es
gab Tage mit Nebel und Tage mit Sonnenschein, aber die Winde waren sehr sanft
in diesem Monat, so dass die Bäume noch dicht und schwer mit den reichen Gold–
und Bronzefarben des milden Herbstes belaubt waren. Nur das Zusammenscharen der
Zugvögel kündigte den Winter an.
    Zwei Tage vor
Samhain, als riesige Schwärme von Staren die Bäume von Dubh Linn umkreisten,
trafen die drei Streitwagen ein.
    *
* *
    Deirdre
konnte sehen, wie selig ihr Vater war; nie zuvor hatte er sich auf diese Art
fortbewegt. Die drei Streitwagen, jeder mit einem Wagenlenker bemannt, waren in
der Tat prachtvolle Gefährte. Fergus und seine zwei Söhne wurden in dem einen
gefahren, Deirdre in dem zweiten; und der dritte Streitwagen, der schönste von
allen, war für Conall bestimmt. Zwei schnelle Pferde waren an die Deichsel
geschirrt.
    Es war ein herrlicher
Tag. Die Sonne funkelte auf den weiten Uferwassern des Liffey, als sie die Furt
überquerten. Ihr Weg führte in nordwestliche Richtung. Den ganzen Nachmittag
fuhren sie über wogendes Grasland und bewaldete Abhänge. Am frühen Abend fanden
sie in einem Eichenwäldchen einen angenehmen Platz, um ihr Lager aufzuschlagen.
Am nächsten Morgen war der Himmel bedeckt. Das Licht war bleiern und grau; die
schrägen Sonnenstrahlen, die zuweilen durch die Wolken brachen, wirkten auf
Deirdre leicht bedrohlich. Aber der Rest der Gruppe

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