Die Prinzen Von Irland
Jahrhunderten christlich. An den Festtagen begab sich Goibniu in die
Kirche des nahe gelegenen Klosters und empfing feierlich die heilige Kommunion.
Seine Familie war stets davon ausgegangen, dass der Schmied ein treuer Sohn der
Kirche war. Aber wie die meisten Gläubigen auf der Insel hing er immer noch an
den alten Traditionen: Heidentum stirbt nie ganz aus. Die meisten der
heidnischen Bräuche der Saatzeit und der Ernte waren unter neuen Namen bereits
in den christlichen Kalender aufgenommen worden; und sogar an manche der alten
Initiationsrituale, die mit der Krönungsweihe der Könige verbunden waren – wie
etwa die Vereinigung mit einer Stute –, erinnerte man sich noch voller Stolz.
Die alten Götter waren vielleicht keine Götter mehr, sondern nur noch »Götzen
und Lügen«, wie die christlichen Priester sagten. Sie waren vielleicht nur noch
Sagen, die von Barden vorgetragen wurden. Oder sie wurden vielleicht mit dem
Segen der Kirche als Helden der Vorzeit, als außergewöhnliche Männer
betrachtet, und Dynastien wie die mächtigen O’Neills durften behaupten, dass
sie von ihnen abstammten. Aber was immer sie gewesen waren, sie gehörten zu
Irland, und die Seeräuber aus dem Norden hatten kein Recht, ihre heiligen
Stätten zu entweihen.
Morann schwieg
verlegen. Sein Vater war von seinem Pferd gesprungen, und zusammen mit seinem
Sohn umschritt er die Gräber. Vor dem größten stand der berühmte Stein mit
seinen rätselhaften eingravierten Spiralen, und sie hielten beide inne und
blickten staunend auf dieses mystische Objekt.
»Früher hat unser
Volk hier ganz in der Nähe gelebt«, brummte der Schmied betrübt. Vor zwei
Jahrhunderten war ein Vorfahre von ihm zwei Tagesreisen weit nach Nordwesten in
die Gegend voller kleiner Seen gezogen, in der die Familie nun lebte.
Unverkennbar bedeutete der Stein mit seinen kosmischen Spiralen für Goibniu so
etwas wie eine Heimkehr.
Erst jetzt traute
sich sein Sohn die Frage zu stellen, die ihm schon die ganze Zeit auf der Seele
lag: »Wenn du die Ostmänner so sehr hasst, Vater, warum bringst du mich dann zu
ihnen, damit ich bei ihnen lebe?«
Dies schien eine ganz
natürliche Frage zu sein; aber anstatt zu antworten, blickte der Schmied ihn nur
düster an und brummte: »Was für einen Narren hab ich nur zum Sohn« und verfiel
wieder in Schweigen. Erst nach einer langen Pause entschloss er sich zu
ausführlicheren Erklärungen.
»Wer hat die größte
Macht auf der Insel?«, fragte Goibniu.
»Der Hochkönig,
Vater.«
»Genau. Und ist es
nicht wahr, dass die Hochkönige von einer Generation zur anderen versucht
haben, die Ostmänner aus Dubh Linn zu vertreiben?«
»Ja, das haben sie,
Vater.«
»Aber letztes Jahr,
als der Hochkönig eine große Schlacht bei Tara gewonnen und sie zur Liffey
hinuntergetrieben hat wo er sie mühelos für immer hinausjagen hätte können da
ließ er sie dort bleiben und machte sie stattdessen tributpflichtig. Warum wird
er das wohl getan haben, was meinst du?«
»Er hat wohl mehr
davon, wenn er von ihnen Tribut verlangt, als wenn er sie hinauswirft.«
»Genau so ist es. Ein
Hafen ist eine wahre Goldgrube. Die Häfen der Ostmänner bringen Wohlstand ins
Land. Du hast mehr davon, wenn du sie im Lande behältst, als wenn du sie
vertreibst.« Er schwieg einen Augenblick. »Und ich sage dir noch etwas. Ist die
Macht des O’Neill–Clans heute noch so groß, wie sie früher einmal war?«
»Nein, das ist sie
nicht mehr.«
»Und warum nicht?«
»Weil sie sich
untereinander zerstritten haben.« Bis zu einem gewissen Punkt traf das zu. Vor
langer Zeit hatte sich das mächtige Königshaus in zwei Linien, die so genannten
nördlichen und südlichen O’Neills, gespalten. Lange hatten diese beiden Linien
Streitigkeiten vermieden, indem sie die Königswürde im Wechsel untereinander
teilten. Aber in den jüngsten Generationen war es zu Auseinandersetzungen
gekommen. Andere Mächte auf der Insel, vor allem die Könige von Munster im
Süden, hatten sich von der altehrwürdigen Autorität der O’Neills gelöst. Ein
junger Clan–Häuptling von Munster namens Brian Boru schien vor keiner der fest
etablierten Königsherrschaften auch nur den geringsten Respekt zu haben und
ernsthaft bereit zu sein, für Unruhe zu sorgen. Die O’Neills waren zwar immer
noch mächtig – schließlich hatten sie gerade die Wikinger von Dubh Linn
geschlagen! –, aber wie ein riesiger Stier begann die gewaltige Macht des Clans
Anzeichen von Altersschwäche zu
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