Die Prinzen von Queens - Roman
nicht schon so weit gegangen, würde er zu Isabel zurückgehen – falls er überhaupt den Rückweg findet. Er ist hier gelandet, indem er am Ende jedes Gangs ganz willkürlich, ohne auf rechts oder links zu achten, abgebogen ist. Und auch wenn er nicht unbedingt zugeben würde, dass er sich verlaufen hat, ist er doch ziemlich nah dran. Ah, aber was ist das? Er kommt an einer Damentoilette vorbei, und das Frauen-Piktogramm an der Tür gibt ihm Hoffnung. Sie sieht superschick aus in ihrem dreieckigen Kleid, also kann ihr stockförmiger Freund nicht weit sein. Und da ist er auch schon, der alte Lude. Am Ende des Flurs.
Zwischengeschlechtliche Zurückhaltung ist von geringer Bedeutung an einem Ort voller Bettpfannen und Schwammduschen, wo Ärzte ihre Patientinnen bitten, sich auszuziehen und Schwestern Katheter in männliche Harnröhren schieben. Alfredo marschiert in eines der wenigen Männerklos des Krankenhauses, eine der wenigen Toiletten mit mehreren Kabinen und mehreren Pissoirs. Ein Typ steht über ein Waschbecken gebeugt und wäscht sich die Hände. Alfredo eilt an ihm vorbei und öffnet im Gehen den Reißverschluss. Seine Blase – die auf dem langen Weg hierher den Anstand besessen hatte, sich ruhig zu verhalten – schmettert eine Arie. Er zielt auf den kleinen blauen Klostein. So viel Spaß wie in ein Pissoir voller Eiswürfel zu pinkeln macht es nicht, aber zumindest sieht Alfredo voller Befriedigung, wie sein Urin grün wird. Er schüttelt flüchtig, betätigt die Spülung mit dem Ellbogen und geht zum Waschbecken, wo der Typ sich immer noch – immer noch! – die Hände wäscht.
»O Mann, ich hasse dieses beschissene Krankenhaus«, sagt der Typ. »Diese ganzen Krankheiten? Kann ja wohl nicht wahr sein. Ich bin nicht neurotisch oder so, aber ich war bestimmt schon fünfmal hier. Nur um mir die Hände zu waschen. Haben Sie eine Ahnung, wie viele Bazillen hier rumschwirren?«
Nein, aber Alfredo weiß, dass Männer auf dem Männerklo nicht mit anderen Männern reden sollen. Die beiden stehen am Waschbecken, was, um ein Gespräch zu führen, akzeptabler ist als das Pissoir oder (Gott bewahre) die Kabine, aber trotzdem. Das hier ist eine Toilette. Alfredo würde auf der Toilette nicht mal mit seinem Vater sprechen. Vielleicht ist das so ein Krankenhausding, dass hier die Hemmschwelle der Leute sinkt. Und tatsächlich hat auch Alfredo ein bisschen das Bedürfnis, mit jemandem zu reden. Er zeigt auf das Schild überm Waschbecken und liest die Aufschrift laut vor. »Händewaschen rettet Leben«, sagt er. »Na, sehen sie. Sie tun was Gutes.«
»Ich bin seit zehn Minuten hier. Ich hätte einen beschissenen Orden verdient.«
»Soll ich Ihnen mal was erzählen? Meine Freundin – sie ist im achten Monat schwanger, okay?« Sie ist natürlich erst im siebten, aber Alfredo erzählt einfach irgendwelche Lügen, um in Übung zu bleiben. »Sie muss zu diesen monatlichen Vorsorgeuntersuchungen. Ich muss da nicht mit, tu ich aber trotzdem. Ich mach nichts, außer ihr die Hand zu halten. Was okay ist. Ich liebe sie. Aber ich muss mir bei der Arbeit frei nehmen, um herzukommen. Und eigentlich müsste ich auch jetzt bei der Arbeit sein, verstehen Sie? Weil, ich hab wie jeder andere seit 9/11 finanziell ziemlich was einstecken müssen, und wenn das Scheißkind kommt, Gott segne es, wissen Sie, wie viel mich das dann kostet? Allein die Windeln? Können Sie sich vorstellen, wie viel ich jetzt schon für den ganzen Krempel ausgebe? Wie viel ich dann ausgeben werde?«
»Jeder zahlt drauf«, sagt der Typ. Er spritzt sich Wasser ins Gesicht. Er ist Mitte, Ende zwanzig. Ganz offensichtlich ist er Fan von Bräunungscreme, hat seine weiße Haut orange eingefärbt, möglicherweise in der Annahme, er sehe so gesünder, lebendiger aus, und womöglich stimmt das auch, aber heute nicht. Heute ist er nicht auf der Höhe. Er hat sich vielleicht einen Tag nicht rasiert – hat Haarflecken auf beiden künstlich gebräunten Wangen, Schatten auf Kinn und Oberlippe. Am schlimmsten aber ist das Stoppelfeld in Form einer nach unten zeigenden Pfeilspitze, das am Haaransatz beginnt. Alfredo vermutet, dass der Typ mit seinem spitzen Haaransatz hadert und es zu seiner täglichen Routine gehört, ihn wegzurasieren. Auch dazu ist er heute nicht gekommen. Alfredo weiß, was müde ist, und dieser Typ ist müde . Er sieht in den Spiegel und schaut finster drein. »Versicherung, keine Versicherung. Kinder, keine Kinder. Spielt keine Geige. Alle zahlen
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