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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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ich recht?«
    Den Becher mit beiden Händen umklammernd, verlässt Isabel das Zimmer, lässt Alfredo und die Schwester zurück. Die Schwester nimmt ihren Pferdeschwanz und drapiert ihn auf der Schulter. Zu Alfredo sagt sie, er solle warten und es sich bequem machen. Der Doktor sei gleich bei ihnen. Und dann verlässt auch sie das Zimmer.
    Alfredo, jetzt ganz alleine, fummelt am Wasserhahn. Dreht ihn auf und zu. Er pocht gegen die Tür des Metallschranks, was ein solides blechernes Geräusch erzeugt, wie Regen auf einem Dach. Er fragt sich, ob in dem Schrank wohl verschreibungspflichtige Tabletten liegen. Schmerzmittel vielleicht. Er klopft noch einmal gegen das Metall, als ginge er davon aus, dass irgendwelche Percocets oder Vicodins zurückklopfen würden. Mit fester Hand umschließt er den Griff der Schranktür. Sein Atem geht verstörend ruhig.
    Vielleicht ist er ja geheilt. Vielleicht wird er jetzt, wo er den Beeper erfolgreich gestohlen hat, nie wieder hyperventilieren. Vielleicht hätte er – O Gott – schon viel früher mal jemand anderem die Luft ablassen sollen. Gerne denkt er nicht daran. Er war sich vorgekommen wie einer der Straßenschläger in Winstons Videospiel: Jemand drückte einen Knopf, und Alfredos Fuß schnellte nach vorn. So etwas hätte vielleicht sein Bruder getan – einen Fremden instinktiv angreifen, wie ein Tier –, und Alfredo hatte sich vor langer Zeit geschworen, dass die Methoden seines Bruders niemals seine eigenen sein würden. Der hatte Koks verkauft, also verkauft Alfredo Gras. Er hatte nach Hause geliefert, also steht Alfredo an einer Ecke und lässt die Krautkäufer zu sich kommen. Er war geschnappt worden, nachdem er einen Festsaal ausgeräumt hatte, also macht Alfredo um jeden Festsaal einen großen Bogen. Und er hatte Isabel schlecht behandelt, also behandelt Alfredo sie so – oder versucht es zumindest –, wie sie es verdient. Aber was ist mit Vladimir? Dem Jungen waren die Augen hervorgetreten, sein Gesicht war rot angelaufen. Womöglich hatte er sich an der eigenen Zunge verschluckt. Vielleicht war er … oh, verdammte Scheiße. Alfredo kann jetzt in diesem Untersuchungszimmer stehen und sich schuldig fühlen, oder er kann die Schranktür öffnen, den verschreibungspflichtigen Pillen in dem Klarsichttütchen in seiner Hosentasche noch ein paar hinzufügen, von Isabel erwischt werden, vom Arzt erwischt werden und dann dabei zusehen, wie der Fürsorgeantrag zerrissen und Isabel dazu gezwungen wird, das Kind auf einer Holzbank im Travers Park zur Welt zu bringen, Santería-Priesterinnen würden Christian Louis’ Köpfchen sachte aus dem Mutterleib ziehen. Oder Alfredo kann Isabel und der Schwester folgen und seinen Hintern rausbewegen. Selbst mal nach einem Klo gucken.
    Die erste Toilette, auf die er stößt, ist abgeschlossen. Möglicherweise hat er den Knauf nicht weit genug gedreht. Wenn er vielleicht einfach – nö, abgeschlossen. Weil er nicht einfach vor der Tür stehen und warten will, die Arme vor der Brust verschränkt, weil er das bei der Arbeit, an seiner Straßenecke zur Genüge tut, weil das Einzige, worum es jetzt geht, ist, in Bewegung zu bleiben und nicht groß nachzudenken, macht Alfredo sich auf die Suche nach einer anderen Toilette.
    Ärzte schwirren an ihm vorbei, Krankenschwestern. Alle tragen Turnschuhe und alle, so scheint es, mustern Alfredo. Es sind keine missbilligenden Blicke, aber nahe dran, und Alfredo versteht die Botschaft: Hör mal zu, Freundchen, du kannst hier nicht einfach durchs Krankenhaus marschieren, und (Klemmbrett an die Brust gedrückt) wenn ich es nicht so eilig hätte … Vielleicht haben sie ja recht. Alfredo zur falschen Zeit am falschen Ort, das konnte tödliche Folgen haben. Er könnte ja über ein Kabel zu einer dieser Piep-Piep-Maschinen stolpern, oder in ein perfekt geeichtes Mikroskop fallen. Nun lass mal gut sein, denkt Alfredo. Er wird hier nicht auf einer Bananenschale ausrutschen und reihenweise teure Krankenhausgeräte umwerfen. Nein, was Alfredo wirklich Sorgen macht, ist der Gedanke, am Ende des Flurs links abzubiegen und plötzlich Zeuge privaten Leids zu werden. Die Nachsorgeuntersuchung einer Frau, der die Brust abgenommen wurde. Ein kleines Mädchen, rosa leuchtend, mit Verbrennungen dritten Grades. Denn Alfredo ist, was er sieht, bereits jetzt zu viel. Patienten auf Transportliegen, den Blicken preisgegeben, Truthahn-Sandwiches wegschiebend, weinend, um Hilfe rufend. Er beschleunigt seine Schritte. Wäre er

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