Die Prinzen von Queens - Roman
drauf. Direkt ausm Arsch.«
Alfredo zieht den Beutel mit den verschreibungspflichtigen Pillen aus der Tasche. Er legt ihn auf den Rand des Waschbeckens und geht zum Papierhandtuchspender. Er muss sich gründlich die Hände abtrocknen, bevor er die Pillen anfasst. Das Grün der OxyContins darf sich nicht mit dem Blau der Viagras vermischen.
»Hm«, sagt der Typ und schaut auf den Beutel.
»Also, worüber reden wir hier? Schlaflosigkeit? Schmerzen? Depressionen?« Alfredo schaut vom Inhalt des Beutels auf den Typen vor ihm, lässt den Blick hin- und herwandern, als gäbe der eine Aufschluss über den anderen. Als wäre Alfredo Gebrauchtwagenhändler und versuchte einzuschätzen, ob sein Opfer eher der Corvette-Freak oder ein Cadillac-Gentleman ist. Alfredo angelt eine Xanax aus dem Beutel. »Angstzustände?«, sagt er. »Ist das das Problem?«
»Das muss man sich mal vorstellen. Ich lamentier hier über Krankenhäuser. Dabei steh ich direkt vor einem scheiß Apotheker.«
»Tja, meinen Rezeptblock hab ich zu Hause vergessen.«
Der Typ dreht den Wasserhahn zu, und in der Toilette wird es still. Er lächelt. Alfredo hatte gehofft, ihn zu überrumpeln, ihn zum Blitzkauf einer Pille zu bewegen. Hatte sich vorgestellt, der Typ würde ihm zwanzig Scheine für eine Xanax geben, weil Alfredo ihn davon überzeugt, dass er sie wirklich braucht, oder der Typ sich selbst überzeugt, dass zwanzig Scheine kein schlechter Preis sind, um einen aggressiven puerto-ricanischen Dealer loszuwerden. Jetzt allerdings denkt Alfredo, dass er sich das alles falsch vorgestellt hat.
»Stress«, sagt der Typ. Er grinst wie ein Wolf, der an einem Kaninchenbau schnuppert. »Was hast du gegen Stress?«
Alfredo denkt nur eins: Bulle. Das würde den Zynismus, das herablassende Grinsen, die lockere Haltung gegenüber gewissen Substanzen erklären. Und falls er ein Abzeichenjäger ist, wäre er mit Ende zwanzig in genau dem richtigen Alter für die Drogenfahndung des NYPD. Alfredo wird also wegen mickriger zwanzig Dollar eingelocht. Während Isabel auf der anderen Seite des Krankenhauses auf ihn wartet! Er achtet auf Wölbungen an den Hüften des Typen, in Höhe seiner Knöchel. Er achtet auf billige Schuhe, vom Alkohol aufgedunsene Haut, von Kaffee verfärbte Zähne, Puderzucker um den Mund, ein Armband in der Farbe des Tages, einen sichtbaren und abstoßenden Gestus der Überlegenheit. Alfredo lässt ihre Unterhaltung Revue passieren – hatte der Typ über seine eigenen Witze gelacht? Besucht er hier seinen Partner, der bei irgendeiner Schießerei in Elmhurst eine Kugel abbekommen hat? Benutzt er Bräunungscreme, weil er nie die Sonne zu Gesicht bekommt, die ganze Nacht auf Streife ist und tagsüber schläft? Alfredo verschließt den Beutel. Sagt: »Tut mir leid, aber gegen Stress hab ich nichts.«
»Na klar. Ich hab ein paar Zolofts gesehen. Weiße ovale Pille? Sahen mir wie die Einhunderter aus.«
»Nein, nein, nein, nein, nein.« Alfredo verstaut den Beutel in der Hosentasche. »Das war was anderes.«
Der Typ grinst genau so, wie er sich die Hände wäscht: viel zu lange. »Mach dir keinen Kopf«, sagt er. »Stress kann was Positives sein. Einen wach halten. In Alarmbereitschaft.«
»Vielleicht sollte ich zur Armee«, sagt Alfredo. »In den Irak gehen, wie alle immer erzählen. Saddam zur Strecke bringen. Stress gibt’s da sicher genug.«
»Ha ha. Sich den Orden schnappen, was?« Der Typ zieht ein Papierhandtuch aus dem Spender. »Du hast also kein Zoloft? Kein Problem. Was ich eigentlich will, ist – hey, warte mal ne Sekunde. Wonach ich eigentlich suche, ist Ectasy. Hast du auch X, mein Freund?«
E inen Becher mit dem eigenen warmen Urin in der Hand, eilt Isabel ins Untersuchungszimmer. Es ist leer. Sie geht wieder hinaus, überprüft die Raumnummer über der Tür und schaut den Flur rauf und runter. Verlegen, bloßgestellt – ihr Pipi ist von schockierend gelber Farbe –, geht sie wieder hinein und setzt sich auf den Untersuchungstisch. Das Papier knistert unter ihrem Hintern. Sie lässt die Füße baumeln. Kann ein erwachsener Mensch mit schwingenden Füßen dasitzen, ohne sich lächerlich vorzukommen? In der Filmversion ihres Lebens – Isabel weiß, dass das vielleicht etwas zu weit geht – wäre ihr Pipi nicht so gelb. Um ihren Flüssigkeitshaushalt wäre es besser bestellt. Aus dem Becher riecht es, stellt Isabel sich vor, wie im Port Authority Bus Terminal. Behutsam gleitet sie vom Tisch und geht zum Waschbecken. Sie
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