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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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kleiner Bruder bekam immer mehr, weil er flennte wie ein Baby. Selbst in den Durchgängen zwischen den Waggons, wo niemand sie sehen konnte. Rotz lief ihm aus der Nase. Ach Gott, sagte Isabel. Das tut mir aber leid. Sie fragte, wie seine Schwester gestorben sei, und Jose sagte, sie verstehe nicht. Es habe keine Schwester gegeben. Das auf dem Bild sei seine Cousine Angelique gewesen, die in Jersey aufgewachsen sei, dort lebe und Zahnarzthelferin sei. Als er Isabels Gesicht sah, wurden seine Augen groß, und da wusste sie, dass er es bereute, ihr davon erzählt zu haben. Aber mein Vater ist jetzt ein Krüppel, sagte er. Und das ist eine wahre traurige Geschichte.
    Sie liebte ihn. Am Küchentisch redete sie pausenlos von ihm. Sie erzählte von dem Revolver, den er einem Chinesen aus Flushing abgekauft habe.
    Nach dem Einbruch im Virgil’s, nachdem die Polizei Jose festgenommen hatte, nachdem er einige Tage im Bau verbracht hatte, holten die Batistas ihn auf Kaution raus. Wenigstens das. Eine Weile, bis zur Gerichtsverhandlung, hatte sie ihn also noch bei sich. Sie verbrachten gemeinsam Silvester, fuhren in Queens und Manhattan herum und lieferten Koks aus. Um Mitternacht, während Jose in Forest Hill ein Tütchen Koks ablieferte, saß Isabel alleine im Transporter und verfolgte den Balldrop am Radio. Das war 1999 auf 2000. Die Boulevardblätter hatten ein Y2K-Computer-Armageddon vorausgesagt, mit genullten Uhren, gelöschten Schulden und abstürzenden Flugzeugen, eine Welt, die komplett in Dunkelheit versank. Aber als Isabel aufschaute, sah sie noch in Dutzenden Fenstern Licht brennen. Sie stellte sich von Sekt gerötete Gesichter vor, die sich gegen das Glas drückten. Sie überprüfte, ob die Türen auch tatsächlich verriegelt waren. Sie drehte das Radio leiser. Sie wechselte den Sitz, rutschte hinters Steuer und wünschte, sie könnte Auto fahren. Das war’s jetzt, dachte sie. Für die nächsten zwei oder drei Jahre, möglicherweise länger, das hing vom Richter ab, war das nun ihr Leben. Alleine herumsitzen. Warten, bis Jose zurückkam.
    D er Arzt schiebt Isabel das T-Shirt unter die Brüste. Aus einer Art Zahnpastatube drückt er ihr eine klare klebrige Masse auf den Bauch. Gelatine-Klümpchen schwimmen in der Schmiere. Isabels Bauchnabel – seit Kurzem nach außen gestülpt – schimmert. Ihr ist kalt. Als der Arzt sich über ihren Körper beugt, presst sie die Schenkel zusammen.
    »Hatten sie in letzter Zeit irgendwelche seltsamen Symptome?«, fragt er, so als wolle er einfach ein bisschen plaudern.
    »Seltsame Symptome?«, sagt sie. Ihre Brustwarzen sind dunkler, der Rücken tut ihr weh, sie muss die ganze Nacht furzen. Anscheinend alles normale schwangerschaftsbedingte Symptome, aber was ist mit dem weißen Ausfluss, der manchmal aus ihrer Scheide kommt? Was ist mit den Blutungen? Sie hat Nasenbluten. Sie wischt sich den Hintern ab, und am Klopapier ist Blut. Sie zieht die Zahnbürste aus dem Mund und die Borsten sind rosa verfärbt. Was ist mit der Zerstreutheit? Letztens, nachdem sie Rührei gemacht hatte, kam sie zwei Stunden später wieder in die Küche und der Herd war noch an, die kleine blaue Flamme kitzelte die Unterseite der Pfanne. In den letzten vier Monaten hat sie zwei Mal ihren Hausschlüssel verloren. Manchmal vergisst sie, welcher Tag es ist. Normale schwangerschaftsbedingte Zerstreutheit? Oder Unfähig-ein-Kind-großzuziehen-Zerstreutheit? Isabel hat Schlafstörungen, aber die hat sie immer schon gehabt. Sie fühlt sich schwach und schummrig, überall juckt es, und sie hat Verstopfung. Ihre Beine krampfen wie Hölle, ihr Gesicht schwillt an, und manchmal kann sie nicht atmen. Wenn in diesem Krankenhaus irgendetwas in Erfahrung zu bringen wäre – zum Beispiel welche Vitamine sie bräuchte, wie viel sie hätte zunehmen sollen, wie viele Sorgen zu viele Sorgen sind, wo zum Henker sie ihren Freund hingebracht haben –, dann wäre sie möglicherweise eher in der Lage, die Fragen des Arztes zu beantworten, eher in der Lage, die seltsamen Symptome von den normalen zu unterscheiden. »Es ist, als wäre mein Kopf unter Wasser.«
    »Verstopfte Ohren«, sagt der Arzt. »Kommt vor. Völlig okay.« Er tippt ihr an die Nase. »Und ich wette, die Nase ist ebenfalls etwas verstopft?«
    Alfredo öffnet die Tür. Einen Moment lang bleibt er zögernd stehen, die Hand auf dem Knauf. Er blinzelt, und als er zu dem Ergebnis kommt, dass ihm gefällt, was er sieht, platzt er unter Entschuldigungen herein. Auf

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