Die Prinzen von Queens - Roman
derjenige gewesen, der in der Hierarchie aufsteigen, den harten Scheiß – Koks, Crack und Junk – in amtlichen Mengen verkaufen wollte, aber Alfredo bleibt lieber sein eigener Herr. Weniger Geld gleich weniger Zeit im Knast und weniger Kugeln im Hintern. Aber um als sein eigener Herr zu überleben, muss er unbedingt die Füße still halten und darf vor allem nicht den falschen Typen den Kiefer brechen.
Angewidert schmeißt Alfredo die gestempelte Pille auf den Boden. Während er den Beeper schüttelt und die Situation erläutert, geht Winston auf die Knie. Er stochert mit den Fingern in den Fugen zwischen den Gehwegplatten. Er holt sein Mobiltelefon aus der Tasche in der Hoffnung, sich dessen grünes Leuchten zunutze machen zu können, aber das Telefon ist aus – vermutlich hat er vergessen, es aufzuladen. Alfredos Tirade hängt wie Rauch in der Luft, und Winston kriecht darunter herum. Die Nase knapp überm Gehsteig und den unterirdischen Gerüchen nach vergammelndem Obst und Gemüse ganz nah, bis er seine Pille entdeckt. Die die ganze Zeit nur wenige Zentimeter entfernt gelegen hatte. In augenfälliger Nähe zu Alfredos Stiefel.
Während der Fettsack sein Bonbon höchstens fünf Sekunden liegen lässt, sind es bei Pille und Junkie sicher fünf Jahre. Winston reibt sie an seinem Sweatshirt und wirft sie sich ein.
»Wo ist das Problem?«, sagt er. Beim Kauen bekommt sein Gesicht einen säuerlichen Ausdruck, erwacht zum Leben. »Das X hat also ein Logo. Das ist doch wunderbar, soweit ich das sehe. Spart uns den Stress, selbst eins draufzumachen.«
»Du hast mir erzählt …«
»Hab mich eben geirrt. Mein Fehler. Aber vielleicht – Moment mal eben – vielleicht gibt’s gar keinen Grund, uns ins Hemd zu machen. Vielleicht wird sich das Logo für unsere Pläne als positiv rausstellen. Weil, wie gesagt …«
»Bitte«, sagt Alfredo. Das Blut hämmert ihm in den Schläfen. Er hebt die Hand – um was zu tun? Winston am Kragen zu packen? – und täschtelt ihm letztlich bloß die Brust, als wäre Winston derjenige, den es zu beschwichtigen gilt. »Halt einfach … okay? Nicht jetzt.«
»Ich sag ja bloß…«
»Du nervst tierisch.«
»Herrgott«, sagt Winston. »Ich nerv überhaupt nicht. Ich sag ja bloß …«
»Du sagst jetzt besser gar nichts. Du hältst jetzt am besten deine beschissene Fresse.«
Winston nimmt seine Spiderman-Kappe ab und biegt den Schirm. Er und Alfredo reden sonst nicht so miteinander. Klar, sie sticheln mal rum. Sie kennen die Grenzen des anderen, und manchmal – als könnte man dieses Wissen kaum für sich behalten – reizen sie diese Grenzen aus. Aber sticheln ist nun mal nicht streiten. Eigentlich sollten Alfredo und Winston nicht laut werden, sich anblaffen oder gegenseitig beschimpfen. Hinter Alfredos Stirn macht sich ein stechender Schmerz breit. Eine Schublade des Aktenschranks gleitet auf.
Winston starrt in die Leere seiner Kappe, als steckte darin eine geheime Botschaft, ein kryptischer Code oder eine sonnengebleichte Landkarte. Er sagt: »Mir ist bloß eben eingefallen, wo wir vielleicht einen Hund herkriegen.«
Die Woche über ist er vollkommen ohne Peilung gewesen, aber wenn man ihn anschreit und beschimpft, hat er auf ein Mal – wie praktisch! – eine Idee, wo möglicherweise ein Pitbull zu holen wäre. Gut, denkt Alfredo. Geht in Ordnung. Alfredo hat die Nummer selbst schon abgezogen. In der sechsten und siebten Klasse hatte er seine ziemlich ordentlichen Zeugnisse in der Schultasche versteckt und für Situationen aufgespart, in denen es Ärger gab. Hatte meist nicht allzu lange gedauert. Beim Wiffleballspielen im Haus mit Jose Jr. war eine Vase zu Bruch gegangen, oder er hatte am Küchentisch gegenüber seiner Mutter eine dicke Lippe riskiert, und schon hieß es hijo de diablo , Hausarrest, einen Monat lang kein Fernsehen! Nach einer Stunde war er dann aus seinem Zimmer geschlichen gekommen und hatte gesagt: »Entschuldige, Papi – aber du müsstest mir mein Zeugnis unterschreiben.« Dann sah Jose Sr. die A– in Sprache und Literatur, die B und die B– in Sozialkunde und Naturwissenschaft und die A+ in Mathe, und wie konnte er Alfredo da noch böse sein, besonders dann, wenn er ihm möglicherweise gar nicht erst hatte böse sein wollen? Genauso läuft das bei Winston. Er hatte seine Hunde-Info als eine Art Faustpfand unter seiner Spiderman-Kappe versteckt. Bei Gefahr hervorziehen. Vielleicht aber auch nicht. Möglicherweise war es Winston genau in dem Moment
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