Die Prinzessin
jemand nach Ihnen schauen, und dann müssen Sie natürlich eine Kranke mimen. Aber die meiste Zeit werden Sie lesen können, Schallplatten hören, oder was auch immer ihr Amerikaner gerne tut.«
»Aha. Ich werd’ also in ein paar Zimmern wie ’ne Gefangene leben. Und was springt für mich dabei raus?«
Der Oberhofmeister wurde merklich reservierter. »Sie würden einem hochbetagten Mann helfen, und unser Land braucht Sie.«
»Ich wiederhol’s gerne noch mal. Was springt für mich dabei raus?«
Die Augen des Mannes flackerten. »Wir sind ein armes Land.«
»Es gibt noch andere Zahlungsmittel als Geld. Wie wär’s denn mit einem Titel. Ich würde zum Beispiel gern Herzogin sein.«
Der Mann hob abwehrend die Hände. »Die Herzogswürde ist erblich, sie kann nicht verliehen werden. Ein Hofamt — das wäre möglich. Sie würden dann als >Mistress< — Herrin angesprochen.«
»Mistress?« keuchte sie. »Wissen Sie, was in Amerika als >Mistress< bezeichnet wird? Etwas, das mein Mann hat — eine Geliebte! Ich möchte nicht mit >Mistress< angesprochen werden!«
»Bei uns ist es ein Ehrentitel.«
Sie erhob sich. »Ich glaube, ich gehe jetzt besser. War schön, Sie kennengelernt zu haben — aber, es geht nicht. Ich will nicht Wochen in ein paar lausigen Räumen sitzen und krank spielen.«
»Gut. Was würde Ihnen dann Zusagen?«
Aria dachte kurz nach, dann nahm sie wieder Platz. »Na ja, im Moment kommen mein Ehemann und ich nicht so gut miteinander aus. Ich würde sehr gern für eine Weile die Prinzessin spielen. Sie bringen mir bei, wie ich sprechen und mich verhalten soll. Vielleicht gelingt es mir, einen von Ihren Herzögen einzuwickeln. Wenn die echte Prinzessin dann zurückkommt, kann ich ja vielleicht hierbleiben und so einen Herzog heiraten. Oder sogar ’nen Prinzen!«
Der Oberhofmeister konnte sein Entsetzen nicht verbergen.
»Akzeptiert oder laß es sein, Kumpel«, meinte Aria und erhob sich. »Wer weiß eigentlich über die Sache, die Sie da vorhaben, Bescheid? Möchten Sie vielleicht, daß dem kranken König ein Vögelchen was vorsingt? Oder dem amerikanischen Botschafter?«
Der Oberhofmeister verließ den Raum und kehrte ein paar Sekunden später mit Lady Werta, Arias erster Hofdame, zurück.
»Ist es machbar? Kann man sie soweit unterrichten, daß sie mit Prinzessin Arias Familie zusammentreffen und ihr lächerliches Vorhaben ausführen kann?« fragte er.
Lady Werta blickte abschätzend an. »Stellen Sie sich hin«, befahl sie. »Und jetzt gehen Sie ein bißchen herum.«
Aria war versucht, die Frau wegen ihres unmöglichen Benehmens zurechtzuweisen, doch sie folgte dem Befehl und schlurfte hüftenschwenkend durch das Zimmer.
»Unmöglich«, meinte Lady Werta. »Absolut unmöglich.«
»Ach ja?« sagte Aria. »Dann schauen Sie sich das mal genau an, Schätzchen!« Sie stürmte durch den Raum, bis sie direkt vor Lady Werta stand. »Sie werden mich gefälligst als Ihre Königliche Hoheit ansprechen, haben Sie verstanden? Und ich werde solche Manieren nicht länger dulden! Und Sie —«, sie wirbelte zum Oberhofmeister herum, »wie können Sie es wagen, in meiner Gegenwart zu sitzen? Bringen Sie mir jetzt den Tee.«
»Jawohl, Königliche Hoheit«, erwiderten die beiden wie aus einem Mund. Dann blickten sie schockiert auf Aria, die sie fröhlich angrinste und eine Kaugummiblase zerplatzen ließ. »Ich war mal Schauspielerin und finde mich in jeder Rolle zurecht.«
»Phh«, machte Lady Werta. »Vielleicht ist sie doch dazu in der Lage.« Nach diesen Worten rauschte sie aus der Hütte.
»Alte Hexe«, sagte Aria leise. »Nun, hab’ ich die Rolle?«
»Wir werden Sie zwei Tage lang einweisen. Dann sehen wir weiter.«
»Sie werden verdammt erstaunt sein, wenn Sie sehen, wie schnell ich lernen kann!«
»Ich beginne zu glauben, Mrs. Montgomery, daß Sie mich nicht mehr verblüffen können, als Sie es schon getan haben. Könnten wir dann jetzt die weiteren Einzelheiten besprechen?«
Aria saß beängstigend ruhig in ihrem Hotelzimmer und wartete auf J. T. Es war ein schrecklicher Nachmittag gewesen. Ihre Einweisung als Prinzessin Aria hatte sofort begonnen, und sie hatte sich gefühlt wie im Gefängnis. Die kurzen Wochen in Amerika hatten sie völlig vergessen lassen, wie hart, isoliert und einsam das Leben einer Prinzessin war. Regeln, Regeln und noch mehr Regeln hatte Lady Werta heruntergerasselt. Mit jedem Wort, das die ekelhafte alte Frau von sich gegeben hatte, hatte Aria gespürt, daß die
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