Die Probe (German Edition)
Ihr Boss wird wohl wissen, was mit ihr los ist. Er müsste jetzt in Adelaide sein.«
Etwas verwundert hörte sie zu, wie vertraut Lauren mit Daisys Vorgesetztem sprach, als wären sie alte Freunde. Nachdem sie aufgelegt hatte, sagte Lauren etwas unsicher:
»Er ist auf dem Weg nach dem Kaff, wo Daisy abgestiegen ist. Es gibt offenbar Komplikationen, mehr war nicht aus ihm herauszuholen.«
»Nicht gut, gar nicht gut«, murmelte Renate. Ihre Angst bekam unerwartet einen ganz anderen, bedrohlich realen Hintergrund.
»Charlie unternimmt alles, um sie zu schützen«, versuchte Lauren sie zu beruhigen und bewirkte das Gegenteil.
»Wie willst du das wissen?«, brauste sie auf. »Entschuldige, ich bin völlig fertig. Ich werde verrückt, wenn diese Ungewissheit andauert.«
»Ich habe es ernst gemeint. Auf Charlie kannst du dich verlassen, ich kenne ihn, glaube mir. Er wird sich melden, sobald es Neuigkeiten gibt. Du kannst jetzt nicht mehr tun.« Lauren sprach so voller Vertrauen von diesem Charlie, dass sie sich allmählich beruhigte, aber die Angst um ihre Freundin blieb.
An diesem Nachmittag erhielt Lauren einen überraschenden Anruf von ihrem Schwager aus Zürich.
»Was verschafft mir diese ungewohnte Ehre?«, fragte sie spöttisch.
»Du weißt, ich bin ein großer Bewunderer deiner Arbeit.«
»Ja, klar. Wenn du Investoren suchst – bei mir ist nichts zu holen.«
»Schade«, lachte er. »Aber im Ernst: ich habe gehört, dass du Saitou verlassen willst?«
»Da bist du richtig informiert. Ich werde in Kürze nach München ziehen, warum?«
»Gibt es denn Nachfolger, die deine Arbeit bei Alternative Energy weiterführen?«
»Nein«, antwortete sie ohne Zögern. »Dieser Bereich wird hier so gut wie stillgelegt. Das Geld fließt in die erfolgversprechende Kernenergie.« Es entstand eine kurze Pause, bevor er die nächste Frage andeutete:
»Das ist bedauerlich, gerade jetzt, nach eurem Durchbruch.« Durchbruch? Er horchte sie aus, wie sie es nicht anders erwartet hatte.
»Welchen Durchbruch meinst du?«
»Ich weiß nicht – man munkelt etwas über neuartige Materialien, erklär du es mir.«
»Wir entwickeln hier laufend neuartige Materialien, das ist unser Job«, antwortete sie trocken. »Erst kürzlich haben wir eine Arbeit über ein Material abgeschlossen, das wie eine Art Superstaubsauger alle möglichen Arten von Verschmutzungen beseitigen kann.«
»Daher das Gerücht«, bemerkte er. Seine Stimme klang nicht sehr überzeugt, aber er ließ es dabei bewenden. »Saitou investiert also vermehrt in Nuklearenergie, davon habe ich auch gehört. Es soll ein großer Ausbau down-under geplant sein.« Ihr ging seine Art, Fragen ohne Fragezeichen zu formulieren, langsam auf die Nerven. Gereizt antwortete sie:
»Wenn das mal nicht schief geht.«
»Wie meinst du das?« Also, es ging doch. Er konnte normal fragen. Sie hatte keine Lust, dieses Thema weiter zu diskutieren und sagte nur:
»Es gibt Gerüchte.«
Erst nachdem er aufgelegt hatte, fiel ihr ein, dass Michael ihr und vor allem Renate vielleicht doch noch sehr nützlich sein könnte. Sie war überzeugt, dass sich mit Renates neuem Material gute Geschäfte machen ließen. Aber dazu brauchte man zuerst genügend Geld, und der smarte Michael hatte Tonnen davon.
Zürich
Nur ein Gerücht , hatte Lauren gesagt, aber der gleitende Kursdurchschnitt im Chart zeigte bereits eine klare Tendenz – nach unten. Die Saitou-Aktie hatte nach dem Desaster in Brasilien wie erwartet stark geschwankt, aber die Erholung nach dem Sturz kam schnell, als die Anleger den ersten Schock überwunden hatten und sich an die Substanz der Firma erinnerten. Einige Zeit pendelte der Kurs lustlos auf dem Niveau von 860 Yen, wie Michael es sich vorgestellt hatte, bis der Mittelwert fast unmerklich zu sinken begann. Auch wenn er es tagelang nicht wahrhaben wollte, der Kurs erholte sich nicht mehr. Es gab einen eindeutigen Trend gegen die 800er-Marke.
»Scheiße«, zischte er zwischen den Zähnen. Francesca, die ihm im Halbdunkel des Handelsraums gegenübersaß, hatte ihn eine Weile genau beobachtet. Sie erhob sich und trat leise hinter ihn. Er beachtete sie nicht und griff zum Telefon. Es war erst halb elf Uhr abends in Sydney, aber sein Kollege meldete sich nicht. Verdammt, hatte sich alles gegen ihn verschworen?
»Wird wohl nichts aus dem freien Nachmittag?«, schmollte sie, aber er antwortete nicht. Sie störte. Ärgerlich wählte er die Nummer seines Brokers in Tokio. Diesmal hatte er
Weitere Kostenlose Bücher