Die Probe (German Edition)
mehr Glück. Er erwischte ihn noch im Büro, doch mehr, als er bereits wusste, erfuhr er nicht von ihm. Die Analysten des Brokers erwarteten einen deutlichen Kursanstieg in den nächsten Wochen. Jedenfalls stand Saitou wieder auf der Liste der Kaufempfehlungen. Die Auskunft beruhigte ihn nicht wirklich, denn sein Problem war jetzt die Knock-out Barrier bei 750. Der Kurs könnte später noch so hoch steigen, wenn er vorher auf 750 fiele, würden seine Optionen wertlos und er hätte 358 Millionen Dollar von Vidals Geld in den Sand gesetzt. War die Barrier zu hoch angesetzt?
»Hörst du mir überhaupt zu?«, schreckte ihn Francescas verärgerte Stimme auf.
»Was?«, antwortete er verwirrt und starrte weiter in den Bildschirm.
»Du kannst mich mal!«, schimpfte sie etwas zu laut, schnappte ihre Handtasche vom Pult und rauschte zur Tür hinaus. Das Letzte, was er von ihr hörte, als sie bereits die Treppe hinunter stöckelte, war ein wütendes Arschloch zum Abschied. Sollte sie toben, es kümmerte ihn nicht im Geringsten. Er hatte jetzt andere Sorgen.
Wenn sie etwas nicht leiden konnte, war es, nicht beachtet zu werden. Er behandelte sie nicht zum ersten Mal wie Luft, weigerte sich, über die Probleme zu reden, die er zweifellos hatte, als wäre sie eine hirnlose Tussi. Sollte er verdorren in seinem Zahlenfriedhof, sie würde sich den freien Nachmittag jedenfalls nicht verderben lassen. Der Ärger verflog allmählich, während sie in die Altstadt hinunter fuhr. Sie parkte den Wagen auf dem Platz in der Seitengasse, für den sie jeden Monat ein kleines Vermögen hinblätterte und wunderte sich, dass er noch nicht durch einen Falschparker besetzt war.
Ihre verwinkelte Dachwohnung erstreckte sich über das ganze Stockwerk. Die Hälfte davon nahm eine romantische Dachterrasse ein, wie sie auf vielen der alten Gebäude oft nur zum Wäschetrocknen verwendet wurde. Sie kickte die Highheels in eine Ecke, zog sich bis aufs Höschen aus, wie sie das oft machte, wenn sie allein war, goss sich ein Glas Weißwein aus dem Kühlschrank ein und öffnete die Terrassentür. Die Wolken hatten sich aufgelöst, die vom morgendlichen Regenguss feuchten Ziegeldächer dampften. Die Luft war rein und duftete erfrischend nach nassen Blättern und Blüten, Landluft mitten in der Stadt. Die Sonnenstrahlen hatten das Kiesplätzchen getrocknet, die Terrasse war bereit für die Siesta. Sie konnte sich nicht über ihr Leben beklagen, aber wenn sie sich vorstellte, über Vidals unermesslichen Reichtum zu verfügen, erschien ihre Existenz plötzlich armselig und kleinbürgerlich. Gar Michaels feudale Villa an bester Lage über dem Zürichsee war nicht mehr als ein miefiger Abklatsch des wahren Luxus ihres neuen Kunden.
Wenn sie die Zeichen richtig deutete, war ihr der erste Schritt in diese bisher verschlossene Welt des finanziellen Hochadels ganz gut gelungen, und sie war jederzeit bereit für den nächsten Schritt. Fuck Michael! Bevor sie den Liegestuhl aufstellte und sich zum Träumen in die Sonne legte, ging sie ins Badezimmer. Das Nachdenken über ihre Zukunft erforderte Kraft und einen wachen Geist. Sie nahm ein Briefchen aus dem Vorratsglas, das mit Tee angeschrieben war, streute den Inhalt in einer Linie auf die Marmorplatte des Waschtischs, rollte das Papier zu einem Röhrchen und zog sich das weiße Pulver genussvoll in die Nase. Der Kick setzte sofort ein. Sie fühlte sich stark, unverwundbar, hellwach, bereit, die neue Welt im Sturm zu erobern. Mit einem selbstsicheren Lächeln im Gesicht legte sie sich auf den Liegestuhl, spreizte die Beine lasziv und schloss die Augen. Dass die wenigen Gäste der Jules Verne Bar oben im Turm der alten Urania-Sternwarte freien Blick auf ihre Terrasse hatten, störte sie nicht im Geringsten. Im Gegenteil, abends, zur blauen Stunde, wenn die Bar gerammelt voll war, zog sie oft auch noch das Höschen aus, um die Fantasie der Voyeure nicht über Gebühr zu strapazieren.
Roxby Downs, Australien
Daisys letztes Fünkchen Optimismus war längst verflogen. Ihr Körper bestand nur noch aus schmerzenden Knochen und gefühllosen Gliedern. Eine Ewigkeit saß sie nun schon an dieses Fass gekettet in der Dunkelheit, steif vor Kälte, die Kehle rau, trocken und entzündet. Sie hustete und krümmte sich stöhnend, als heftige Stiche durch ihre Brust fuhren. Nicht aufgeben! Stoisch wiederholte sie dieses Mantra im Geiste, um die tödliche Angst und Verzweiflung zu vertreiben.
»Pete?«, fragte sie heiser. Ihr
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