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Die programmierten Musen

Die programmierten Musen

Titel: Die programmierten Musen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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Willow« darauf geschrieben. Er nahm den Aktenhefter auf. Wenn er Papiere enthalten hatte, so lagen sie jetzt sicher auf dem Boden verstreut, denn er war leer bis auf einen kleinen Zettel, der auf der Innenseite des Rückendeckels festgeklebt war.
    Der darauf geschriebene Text war so seltsam, daß Gaspard ihn laut vorlas:
     
    Auf einem Baum am Fluß saß eine kleine Meise
    Und sang: ›Willow, titwillow, titwillow!‹
    Sag ich: ›Mein Dickilein, singst eine schöne Weise
    Und sitzest …‹
     
    Miß Willow war vorsichtig aufgestanden und kam geradewegs auf ihn zu.
    »Hallo, Liebling«, sagte sie mit ihrer süßen, süßen Stimme. »Was kann Mama heute für Dickilein tun?«
    Gaspard sagte es ihr.
    Und als die wilden Blumen seiner Phantasie zu sprießen begannen, sagte er ihr noch einiges mehr.
    Zwanzig sehr interessante, doch nur einleitende Minuten später standen sie miteinander verschmolzen vor Cullinghams Tisch inmitten ihrer verstreuten Kleidung. Das heißt, sie hatten die Arme umeinandergelegt, und Miß Willow war mit dem rechten Bein um sein linkes gefahren, und sie hatten sich eben leidenschaftlich geküßt – doch weiter ging die Umarmung nicht, denn vor etwa zehn Sekunden war Gaspard völlig impotent geworden.
    Er wußte auch genau, wieso. Der Grund war in der ältesten und mächtigsten männlichen Angst zu suchen: in der Angst vor der Kastration. Er konnte einfach das gefährliche Knurren nicht vergessen. Und obwohl Miß Willows Fleisch auf wundersame Weise natürlich wirkte, was Beschaffenheit, Temperatur und Spannkraft anging, entsprachen nicht alle darunter spürbaren Dinge in Form und Lage den Knochen eines menschlichen Skeletts. Außerdem war über dem Duft der Schwarzen Galaxis ein ganz leichter Geruch von Maschinenöl wahrzunehmen.
    Er wußte, daß er den nächsten entscheidenden Schritt ebensowenig vollziehen konnte, wie es ihm möglich war, freiwillig seine rechte Hand in ein Gewirr sich drehender scharfer Zahnräder zu stecken. Cullingham mochte das fertigbringen, weil er vielleicht der Technik unbeschränktes Vertrauen entgegenbrachte oder auch von einem übergroßen abartigen Todesverlangen erfüllt war, aber Gaspard war dazu ganz bestimmt nicht in der Lage.
    »Dickilein hat Interesse verloren«, dehnte Miß Willow wolllüstig und forschte mit den Fingern nach. »Mama bringt das in Ordnung.«
    »Nein!« sagte Gaspard scharf. »Laß das!« In seiner Phantasie waren Miß Willows weiche, kühle Finger abrupt zu Stahlklauen geworden.
    »Na gut«, sagte Miß Willow gelassen, »wie Dickilein möchte.« Gaspard hätte vor Erleichterung fast aufgeseufzt. »Machen wir einen Moment Pause«, schlug er vor, »und du kannst mir etwas vortanzen.«
    Miß Willow legte leicht die Arme um ihn, neigte den Kopf zurück und bewegte ihn hin und her, während sie lächelte.
    »Los, Mama«, schmeichelte Gaspard. »Mama schönen Tanz. Dickilein sieht zu. Schön, oh, so schön!«
    Miß Willow schüttelte nur wieder den Kopf.
    Gaspard wich etwas zurück und versuchte mit sanfter Bewegung ihre Arme auseinanderzudrücken – eine höfliche Aufforderung zur Trennung, doch Miß Willow ging nicht darauf ein.
    »Laß mich los«, sagte Gaspard direkt.
    Immer noch lächelnd erwiderte Miß Willow spielerisch: »Nein, nein, nein. Dickilein kommt jetzt nicht davon.«
    Ohne Vorwarnung ruckte Gaspard zurück und preßte gleichzeitig seine Handgelenke nach außen. Doch Miß Willows Arme flogen nicht auseinander. Vielmehr widerstanden sie dem Aufprall und schlossen sich blitzschnell noch enger um ihn, nicht gerade schmerzhaft, doch sehr knapp bemessen. Vor einer Minute hatten sie ihm noch Wonne gespendet, jetzt glichen sie gepolsterten Stahlbändern. Der linke Arm war ihm unbeweglich an den Körper gedrückt, sein rechter Arm hing frei.
    »Unartig, unartig«, gurrte Miß Willow. Dann drückte sie das Kinn in seine Schulter, knurrte ihm gräßlich ins Ohr und sagte im gleichen Tonfall: »Du beschädigst Mama, Mama beschädigt dich.« Dann beugte sie sich zurück und girrte: »Spielen wir. Hab keine Angst, Dickilein. Mama ist ganz sanft.«
    Gaspards fast automatischer Reflex auf diese Aufforderung bestand in einem erneuten heftigen Fluchtversuch. Hinterher waren Miß Willows Arme noch immer um ihn geschlungen, und dazu jetzt ihr rechtes Bein. Die beiden schwankten wild hin und her, doch der feine Gleichgewichtssinn der Femmequin hielt sie auf den Beinen.
    »Mama drückt dich«, knurrte ihm Miß Willow ins Ohr. »Mama drückt dich

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