Die Propeller-Insel
Architektonik ist. Sie hatten Recht, Herr Munbar, die beiden Stadthälften gleichen einander ebensowenig, wie der Tempel der einen der Kathedrale der andern!
– Und doch, Herr Yvernes, sind die beiden Hälften von einundderselben Mutter geboren…
– So?… Aber nicht von demselben Vater? bemerkt Pinchinat dazwischen.
– Gewiß… auch von demselben Vater, meine vortrefflichen Freunde! Sie sind nur in verschiedner Weise hergestellt, indem sie den Bedürfnissen und Wünschen derer angepaßt wurden, die hier ein ruhiges, glückliches, sorgenloses Leben suchten – ein Leben, wie es keine andre Stadt, weder in der Alten, noch in der Neuen Welt zu bieten vermag.
– Beim großen Apoll, Herr Munbar, antwortet Yvernes, hüten Sie sich, unsre Neugier allzusehr zu reizen! Es erscheint, als ob Sie eine musikalische Phrase sängen, die die Tonica zu lange vermissen läßt…
– Und damit schließlich das Ohr ermüdet, setzt Sebastian Zorn hinzu. Ich dächte, der Zeitpunkt wäre gekommen, wo Sie sich entschließen, uns den Namen dieser außergewöhnlichen Stadt nicht länger zu verschweigen.
– Noch nicht, werthe Herren, erwidert der Amerikaner, während er das Binocle auf dem Nasenrücken zurechtschiebt. Gedulden Sie sich bis zum Ende unsers Spaziergangs und lassen Sie uns jetzt weiter gehen…
Sie standen vor einem mit Blumen und Zierpflanzen verzierten Garten. (S. 50.)
– Ehe wir das thun, meldet sich Frascolin, dessen Gefühlen von Neugier sich eine unbestimmte Unruhe beimischt, hätte ich einen Vorschlag…
Das murmelnde Wasser glitt durch die Landschaft dahin. (S. 51.)
– Und der wäre?…
– Warum sollten wir nicht den Thurm der Saint-Mary-Church ersteigen? Von da aus hätten wir einen vollen Ueberblick…
– Nein, das nicht! wehrt Calistus Munbar ab und schüttelt dazu das buschige Haupt, jetzt nicht… später einmal…
– Doch wann? fragt der Violoncellist, der ob dieser geheimnißvollen Ausflüchte langsam in die Wolle kommt.
– Nach Beendigung unsers kleinen Ausflugs, Herr Zorn.
– Wir kehren demnach zu dieser Kirche zurück?
– Nein, liebe Freunde. Wir beschließen unsern Spaziergang durch einen Besuch des Observatoriums, dessen Thurm den der Saint Mary-Church um ein Drittel an Höhe überragt.
– Ich sehe aber nicht ein, fährt Frascolin dringender fort, warum wir die sich hier bietende Gelegenheit nicht benützen sollten…
– Weil… weil mir damit der Schlußeffect verdorben würde.«
Eine andre Antwort ist dem räthselhaften Manne nicht zu entlocken.
Da es das beste erscheint, sich ins Unvermeidliche zu fügen, werden die verschiednen Alleestraßen der zweiten Hälfte gewissenhaft durchwandert. Dann folgt ein Besuch der Handelsviertel, der der Schneider, Schuhmacher, Hutmacher, Fleischer, Gewürzkrämer, Bäcker, Fruchthändler u. s. w. Calistus Munbar, der von den meisten ihm begegnenden Personen gegrüßt wird, erwidert diese Grüße mit eitler Selbstgefälligkeit. Er ermüdet nicht in seinen Standreden, zeigt auf alles Bemerkenswerthe hin und seine Zunge schwingt im Munde eben so eifrig, wie der Klöppel einer Kirchenglocke am Feiertage.
Gegen zwei Uhr ist das Quartett an dieser Seite zur Grenze der Stadt gelangt, die von einem herrlichen, mit Blumen und Schlingpflanzen verzierten Gitter gebildet wird. Weiter draußen liegt offnes Land, dessen Kreislinie mit dem Horizonte zusammenfällt.
Hier macht Frascolin für sich eine Beobachtung, die er seinen Genossen noch nicht mittheilen zu sollen glaubt. Alles wird sich ja auf der Höhe des Thurmes vom Observatorium erklären. Diese Beobachtung geht dahin, daß die Sonne, statt sich in Südwest zu befinden, wo sie doch nach zwei Uhr nachmittags sein sollte, jetzt mehr im Südosten steht.
Ein so überlegender Geist wie Frascolin mußte darüber nothwendiger Weise erstaunen, und er fing schon an, sich »das Gehirn zu zermartern«, wie Rabelais sagt, als Calistus Munbar seinen Gedanken eine andre Richtung gab, indem er plötzlich ausrief:
»Meine Herren, die Trambahn wird in wenigen Minuten abgehen. Wir wollen nach dem Hafen aufbrechen…
– Nach dem Hafen? wiederholt Sebastian Zorn erstaunt.
– Ja, es handelt sich nur um eine Fahrt von höchstens einer Meile (1609 Meter), wobei Sie auch Gelegenheit finden, unsern Park zu bewundern.«
Wenn es hier einen Hafen giebt, so muß er etwas ober-oder unterhalb der Stadt, an der Küste Nieder-Californiens liegen. Wo sollte man ihn sonst suchen, wenn nicht an irgend
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