Die Prophetin vom Rhein
Dormitorium fertiggestellt und vor Kurzem nun auch noch das Haus der Magistra. Und wenn erst einmal unsere Kirche fertig sein wird!« Hedwig war so in Fahrt geraten, dass ihre Worte sich fast überschlugen. »Was bedeuten schon ein paar Jahre für ein Haus Gottes?«, fuhr sie fort, während Gero, unversehens der heimeligen Wärme der Küche beraubt, weiterhin verstockt schwieg. »Der Rupertsberg ist ein gewaltiger Neuanfang. Wer so eine Herausforderung bekommt, muss sich bei Gott herzlich bedanken.«
Vor einem niedrigen Gebäude aus Bruchsteinen machte sie halt.
»Unser Gästehaus ist leider auch noch nicht ganz fertig«, sagte Hedwig. »Aber ein Dach hat es schon mal. Und für Decken und Stroh ist ebenfalls gesorgt. Ich denke, so kommt ihr durch die Nacht.«
Mit diesen Worten ließ sie die beiden allein.
Theresa sank das Herz, als die Mutter öffnete und im nächsten Augenblick den Krug so begierig an sich riss, dass sie den Tee fast verschüttet hätte. Adas Gesicht war sogar im Schein der Ölfunzel kalkweiß, als hätte sie gerade einen Hieb erhalten. Das Mädchen brauchte nicht zu fragen, um
zu wissen, dass es Schwierigkeiten gegeben haben musste. Gero dagegen schien das nicht weiter zu kümmern. Im Nu hatte er das mitgebrachte Dinkelgebäck verputzt. Er griff sich eine Decke, raffte Stroh zusammen und baute sich ein provisorisches Nest. Ein paar Augenblicke später war er bereits eingeschlafen.
Ada hatte sich in eine Ecke zurückgezogen und dort offenbar etwas in den mitgebrachten Tee gestreut, was schon bald einen unangenehm stechenden Geruch verbreitete. Danach kam sie mit einem vollen Becher zurück und ließ sich auf dem Boden nieder, den Rücken an die Wand gelehnt.
Theresa setzte sich zu ihr.
»Wir müssen bald wieder weg«, murmelte die Mutter. »Spätestens übermorgen. Base Richardis lebt schon lange nicht mehr hier, und die Magistra will uns nicht länger hier haben. Wir gehören nicht in ihr Kloster, hat sie gesagt, weder ein halbwüchsiges Mädchen noch ein wilder Junge und erst recht keine Ehe …« Sie verstummte.
»Sie hat dich nach Vater gefragt?«, wollte Theresa wissen.
Ein Nicken.
»Und was hast du ihr geantwortet?«
»Die Wahrheit, was sonst? Dass Robert vom Kreuzzug nicht mehr nach Hause gekommen ist. Und dass von da an unsere Schwierigkeiten begonnen haben.«
Das ist nicht die ganze Wahrheit, dachte Theresa, doch sie verzichtete darauf, die Mutter zu verbessern. »Und dann hat sie sich nach dem Kind erkundigt«, mutmaßte sie. »Wie es angehen kann, dass du schwanger bist, wo dein Mann doch seit Jahren tot …«
Ada fuhr ihr rasch mit der Hand über den Mund, als könne sie die Tochter damit zum Verstummen bringen.
»Was spielt das jetzt noch für eine Rolle?«, sagte sie müde.
»Am besten wäre es doch, wir beide wären auch nicht mehr am Leben, das Kind in meinem Bauch und ich.«
»So etwas darfst du nicht sagen!« Theresa versuchte, die Mutter zu umarmen, um sie zu trösten, Ada aber machte sich steif und schob sie weg.
»Ich hätte dich niemals mit meinen Albträumen belasten sollen«, murmelte sie, »aber du bist schon so groß, da vergesse ich manchmal, dass du eigentlich noch ein halbes Kind bist. Ich weiß einfach nicht mehr weiter, Theresa - jetzt, wo wir auch hier nicht bleiben können.«
»Es wird eine Lösung geben!«, stieß das Mädchen hervor. »Ganz bestimmt. Morgen werden wir …« Sie wollte nach dem Becher greifen, den die Mutter sich vollgeschenkt hatte, Ada jedoch drängte sie fast grob zur Seite.
»Lass das!«, sagte sie, und es hörte sich an wie ein Befehl. »Du rührst es mir nicht an, verstanden? Leg dich lieber schlafen!«
Theresa gehorchte, streckte sich aus und schlang die Decke um sich. Schlafen sollte sie? Das war leichter gesagt als getan. Das notdürftig ausgestreute Stroh vertrieb weder die Kälte, noch machte es den harten Boden gemütlicher. Ihre Waden waren steif, zwischen den Rippen stach es, und hungrig war sie plötzlich auch wieder. Jetzt bereute sie, dass sie vorhin alles Gero überlassen hatte, der ein Stück entfernt satt und wohlig vor sich hin schnarchte. Irgendwann fielen ihr doch die Lider zu.
In wirren Träumen hetzte sie durch einen Wald, in den kaum Licht fiel, so eng standen die Bäume. Zweige verhakten sich in ihrem Haar, Insektenschwärme umschwirrten sie, unter den nackten Sohlen spürte sie Moos und altes Laub. Immer undurchdringlicher wurde das Dickicht, schwarz wie dick geronnenes Blut, doch sie konnte und durfte
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