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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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sie es sonst immer tat, wenn Adrian eine Brotsegnung im Haus am Brand anberaumt hatte. Nur so war es zu erklären, dass die Magistra auf einmal wie ein Racheengel im großen Versammlungsraum stand.
    Hildegard war älter geworden, hatte tiefere Falten um Mund und Augen und erschien Theresa knochiger, als sie sie in Erinnerung hatte. Doch nie zuvor hatten ihre hellen Augen derart zornig geblitzt. Obwohl sie zunächst stumm blieb, flogen die Blicke aller Anwesenden zu ihr. Sie dagegen schien nur eine Einzige in der Menge zu suchen. Magota übersah sie geflissentlich, als sei sie gar nicht vorhanden, doch als sie ihre frühere Schülerin unter den Sitzenden entdeckt hatte, entfuhr ihrem Mund ein kurzer klagender Laut.
    Theresa errötete und fühlte sich auf einmal, als läge ein Teppich von glühenden Kohlen vor ihr, den sie zu überqueren habe.

    Adrian van Gent ließ das Brot sinken, das er gerade hatte einritzen wollen. Falls er erstaunt oder sogar erschrocken war, verbarg seine gefasste Miene es perfekt.
    »Seid gegrüßt, Schwester in Gott!«, sagte er glatt. »Bei unseren frommen Zusammenkünften ist jeder Gast herzlich willkommen.« Er wies auf einen freien Hocker. »Nehmt Platz und brecht das Brot mit uns, so wie Jesus es mit seinen Jüngern getan hat.«
    »Was habt Ihr mit ihr gemacht, van Gent?«, sagte die Magistra. »Heraus damit - ohne Umschweife! Denn freiwillig befindet sich eine junge Adelige wie Theresa von Ortenburg ja sicherlich nicht in solch einem Haus des Teufels.«
    Sein Mund verzog sich schmerzlich. »Es betrübt mein Herz zutiefst, Euch so sprechen zu hören«, erwiderte er. »Eure harten Worte verraten mir, wie sehr man uns noch immer verkennt. Dabei sind wir nur Gottes Volk, Abatissa, gute Christen, die streng und ehrbar nach seinen Geboten leben.«
    Hildegard schien ihn gar nicht zu hören. Noch immer sah sie nur Theresa an.
    »Steh auf!«, verlangte sie. »Hol deine Sachen und komm mit mir. Ich werde dich von hier fortbringen, an einen sicheren Ort, wo man sich deiner annehmen wird. Du musst keine Angst haben. Er kann dir nichts mehr tun.«
    Hildegard klang so ernst, so ruhig, so sehr gewohnt zu befehlen, dass Theresa beinahe wie früher gehorcht hätte. Einfach aufstehen und alles hinter sich lassen - welch überaus verlockende Vorstellung! Seit der geglückten Flucht von Lyss und Siman aus Mainz hatte sich Adrians Abneigung ihr gegenüber in blanken Hass verwandelt; das ließ er sie jeden Tag deutlicher spüren. Noch immer hatte man die beiden nicht gefunden. Nicht mehr lange, und das erste Kind der beiden würde zur Welt kommen. Theresa hatte sie
gerettet, wenngleich sie selbst noch immer auf Rettung hoffte. An diesen tröstlichen Gedanken klammerte sich Theresa, wenn es unerträglich wurde.
    »Geh, wenn du willst, Theresa!«, hörte sie auf einmal Willem sagen. »Sie hat recht. Du gehörst nicht hierher, und hast es niemals getan. Geh mit ihr und vergiss uns, so schnell du nur kannst!« Seine Stimme brach beinahe.
    Wie könnte sie ihm das antun? Ein Herz aus Stein müsste sie haben, ihn so leiden zu lassen! Wenn sie die guten Christen verlassen würde, dann nur zusammen mit ihm. Die passende Gelegenheit dazu würde kommen, Theresa war sich plötzlich ganz sicher. Vielleicht konnte sie bis dahin noch ein paar Schwangeren helfen, ihre Kinder zu behalten. Sie war kein Feuer, das schon erlosch, wenn es nur ein paar Tropfen abbekam. Sie war starkes, loderndes Feuer, das auch im Wasser brannte.
    »Niemand hat mich zu etwas gezwungen oder mir gar etwas angetan.« War das wirklich ihre eigene Stimme, so klar und fest? Später im Bett würde sie wieder ihren Handrücken blutig beißen, doch jetzt spielte das keine Rolle. »Ich bin aus freien Stücken hier. Weil ich es will. Ich brauche keine Hilfe. Und niemanden, der mich irgendwohin bringt. Ich bin genau da, wo ich hingehöre.«
    »Du weißt ja nicht, was du da sagst.« Die Magistra schien nicht bereit, so schnell aufzugeben. Damit hätte Theresa eigentlich rechnen müssen. »Ein Ketzerhaus ist es, in dem ich dich finde. Bei Verdammten, die die Heilige Schrift so lange verdrehen, bis sie in ihr krankes Gedankenspiel passt. Bischof Arnold wird diesem Treiben nicht länger tatenlos zusehen, das musst du wissen. Wenn man sie dann ergreift, und du bist unter ihnen, gehst du mit ihnen zugrunde.« Jetzt klang sie bittend. »Komm mit mir! Dann wird alles gut. Noch ist Zeit dazu.«

    »Die Heilige Schrift verdrehen?« Adrian war aufgesprungen. »Ganz im

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