Die Prophetin vom Rhein
schlechter Verfassung an, geliebte Tochter«, krächzte er mühsam. »Früher die Leber, nun nach all den mühsamen Reisen auch noch die Nieren! Ich werde langsam alt. Und hätte doch so vieles zu erledigen.«
Hatte sie etwa mit ihrem Brief seinen schlechten Zustand
mitverschuldet? Im Augenblick schien es Hildegard eher, als hätte er ihr Schreiben gar nicht erhalten oder längst wieder vergessen.
»Ein gutes Maß an Zeit ist vergangen, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben, Exzellenz«, sagte sie so freundlich, wie es ihr nur irgend möglich war. »Vielleicht seid Ihr inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass auch Frauen ein Kloster zum Besten derer leiten können, die darin leben.«
»Der Rupertsberg.« Seine magere Gestalt sank in sich zusammen. »Ah, diese Nierensteine bringen mich noch um den Verstand!«
»Die Nieren waschen unser Blut und sorgen dafür, dass Schlechtes und Unbekömmliches aus dem Körper gespült wird«, sagte Hildegard. »All dieses kann sich aber auch verfestigen, und dann bereitet es uns große Schmerzen.«
»Als ob ich das nicht wüsste! In meinem Körper muss es ein halber Berg sein, der auf diese Weise entstanden ist.«
»Dann lasst mich Euch helfen! Ein wenig verstehe ich ja von der Heilkunde. Ich könnte es zumindest versuchen.«
»Eines deiner vielen Talente. Ich habe bereits davon gehört. Ja, wenn das in deiner Macht läge, dann wäre ich froh.«
Hildegard riss die Tür auf. »Hol Schwester Benigna her!«, befahl sie dem nächststehenden Diener. »Sie wird dringend hier gebraucht.«
Es dauerte nicht lange, und die Gesuchte wirbelte mit ihrem prall gefüllten Korb herein. Der Krankengeschichte des Erzbischofs hörte sie aufmerksam zu. Dann erhellte ein strahlendes Lächeln ihr Gesicht.
»Glück gehabt, Exzellenz, großes, großes Glück!«, rief sie. »Denn ausgerechnet Boberella , im Volksmund auch Judenkirsche genannt, befindet sich unter meinen Schätzen.
Ein warmer Breiumschlag daraus, außerdem ausreichend Flüssigkeit zu Euch genommen - und die Steine werden Eure Nieren schneller verlassen, als Ihr es für möglich haltet.« Seinem skeptischen Blick schickte sie ein glucksendes Lachen entgegen. »Soll ich mich am besten gleich selber daranmachen?«
Er nickte kraftlos.
»Dann fasst Euch für kurze Zeit in Geduld!« Mit diesen Worten ließ sie sich in die Küche bringen.
»Wenn ihr das gelingt, sollst du die Urkunde, die du dir so sehr wünschst, bald in der Hand halten«, sagte Arnold plötzlich. »Die bischöfliche Kanzlei wird ihre Ausstellung vornehmen.«
»Wir werden endlich unabhängig vom Disibodenberg sein?«, fragte Hildegard ungläubig. »Nach all den langen Jahren?« Hatte er ihr das alte Vergehen inzwischen vergeben? Jedenfalls schien er nicht erpicht, noch einmal darauf zurückzukommen.
»Das werdet ihr«, sagte er. »Die eingebrachten Mitgiften der frommen Schwestern sollen ungekürzt dem Kloster Rupertsberg überschrieben werden. Außerdem wird für alle Zeiten die freie Wahl der Äbtissin garantiert. Bist du nun zufrieden, meine Tochter?«
Tausend Antworten wirbelten durch Hildegards Kopf. Für den Moment, ja, hätte sie am liebsten gerufen. Eine kleine Ewigkeit hab ich auf diesen Augenblick gewartet. Doch dort draußen spaziert noch immer dieser Mann herum, der lieber heute als morgen Euren Ring trüge. Und nur ein paar Ecken weiter wütet Satan ungestraft in einem Haus, der sein Gift auch in ein Kind geträufelt hat, das mir sehr am Herzen liegt. Ich kann mich nicht weiterhin im Kloster vergraben, wenn ich solchem Treiben wehrhaft entgegentreten will. Reden muss ich, öffentlich predigen,
die Menschen befragen, um zu erfahren, was sie in ihren Herzen bewegt …
Jämmerliches Stöhnen brachte sie in die Gegenwart zurück. Arnold sah so fahl und elend aus, als würde er kaum noch den nächsten Tag erleben.
»Dein Schreiben …«, flüsterte er. »Sie nennen dich die Prophetin vom Rhein. Hast du mein Ende schon gesehen? Dann sag es mir! Ich will darauf vorbereitet sein.«
Jetzt bekam sie plötzlich Angst. So kurz vor dem Ziel durfte es keinen Rückschlag geben! Arnold sollte wieder gesund werden, nur darauf kam es jetzt an. Alles andere hatte vorerst Zeit.
»Haltet durch!«, sagte sie leise. »Was ich Euch schrieb, hat mir das Lebendige Licht gezeigt, und es spricht meist in Bildern zu mir. Benigna wird Euch gleich erlösen. Sie besitzt das, was man heilende Hände nennt. Das werdet Ihr gleich selbst erfahren.«
»Bin schon wieder
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