Die Prophetin vom Rhein
zurück«, hörte Hildegard die Infirmarin fröhlich vor der Tür trompeten. »Aus dem Weg - die Linderung für den Erzbischof ist da!«
Die Magistra trat mit einem unhörbaren Seufzer zur Seite und ließ Benigna ihr Werk tun.
Sieben
MAINZ - FRÜHLING 1159
Die Angst saß Theresa im Nacken - und wollte sie nicht mehr loslassen. Mal fühlte sie sich wie in den Krallen eines Raubvogels, dann wieder glaubte sie spitze Marderzähne zu spüren, die sich tief in ihr Fleisch gruben. Wann würden sie kommen, um sie zu holen und anzuklagen, jetzt, wo Erzbischof Arnold zurück in Mainz war? Jeden Tag fürchtete sie, die Drohungen der Magistra könnten sich aufs Schlimmste bewahrheiten.
Es nützte nichts, dass die anderen im Haus am Brand sie zu beschwichtigen versuchten. Willem tat es mit freundlichen Worten und der Versicherung, dass ihm seit Kindertagen nichts Böses zugestoßen sei, obwohl sie schon oftmals in Gefahr geschwebt seien. Adrian berief sich auf sein Gottvertrauen, riet ihr, selbst fester im Glauben zu werden, und bot ihr an, sie zu diesem Zweck persönlich zu unterweisen, was Theresa entsetzt ablehnte. Seine Gegenwart wurde ihr immer unerträglicher. Kam er ihr zu nah, begann sie innerlich zu zittern, und ihr Magen zog sich abwehrend zusammen. So gut es ging, vermied sie deshalb jede Begegnung mit ihm. Zum Glück war Adrian in den vergangenen Monaten häufig auf Reisen gewesen, was es etwas einfacher gemacht hatte.
Erstaunlicherweise zeigte ausgerechnet Magota keinerlei Anzeichen von Furcht, sondern trat derart selbstbewusst auf, dass Theresa sich fragte, was genau sie eigentlich so sicher
machte. Die ehemalige Nonne hasste Hildegard aus tiefstem Herzen, das wusste sie. Und auch die Magistra hatte aus ihrer Abneigung gegen Magota niemals einen Hehl gemacht. Aber weshalb rechnete sie dann nicht damit, dass Hildegard die guten Christen früher oder später an den Erzbischof verraten würde - oder es schon längst getan hatte?
»Weil wir unter mächtigem Schutz stehen«, brach es eines Tages aus Magota heraus, als Theresa zum wiederholten Mal in sie drang. »Ein Schutz, der freilich nicht gerade billig ist. Doch solange unsere Gemeinde bezahlt, wird ihr nichts geschehen.«
»Woher willst du das wissen?«
»Weil ich höchstpersönlich einige Male die Überbringerin der Gelder gewesen bin. So uneingeschränkt schenkt Adrian mir sein Vertrauen - ganz im Gegensatz zu dir, von der er bis heute nicht recht weiß, was er von ihr halten soll.«
Zuerst konnte Theresa nicht glauben, was sie da zu hören bekam, doch Magota beharrte darauf, während sie den Brotteig kräftig mit den Handballen knetete, bevor er zu runden Laiben geformt und in den bereits seit dem Morgengrauen angeheizten Ofen geschoben wurde.
»Ähnlich wie bei den Juden, die auch einen Schutzbrief kaufen müssen, der erst dann verlängert wird, wenn sie erneut bezahlt haben?«, fragte Theresa verblüfft. »Und doch hat man sie immer wieder angegriffen, verjagt und sogar grausam getötet. Am Silber allein kann es also nicht liegen.«
Magota bückte sich über den Backtrog und drückte ihre Fingerspitzen in den Teigrest, der am Boden klebte.
»Welch unmöglicher Vergleich!«, rief sie empört. »Die Kinder Israels haben Jesus Christus ermordet. Ihr Testament ist die Schrift Satans. Wie kannst du uns mit ihnen
in einem Atemzug nennen? Den guten Christen wird nichts zustoßen, gar nichts, denn der gute Gott liebt uns!«
Wieder eine dieser merkwürdigen Ansichten, die gegen all das verstieß, was Theresa von Kindesbeinen an gelernt hatte. Sie wusste nicht viel über das Alte Testament, aber sie hatte die aufregenden Geschichten gemocht, die die Mutter ihr manchmal daraus erzählt hatte. Ada hatte der Tochter beigebracht, Altes und Neues Testament gleichermaßen zu achten, weil das eine, wie sie stets zu sagen pflegte, die starke Wurzel war, aus der ein prachtvoller Baum erst hatte sprießen können. Um keinen neuen Streit heraufzubeschwören, beschloss Theresa, lieber den Mund zu halten.
»Gib mir den Rest!«, sagte sie stattdessen. »Ich will noch einen Zopf backen.«
Widerwillig gehorchte Magota.
»Dann bezahlen wir an Arnold von Selenhofen?«, fragte Theresa weiter, während ihre Hände den Teig geschickt zu Würsten formte, sie mit Mehl bestäubte und glatt rollte, bis Länge und Dicke passten. Erst dann begann sie mit dem Flechten. »Er ist es also, der seine Hand über uns hält.«
»Ja und nein.« Magota wiegte bedenklich den Kopf. »Dieser
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