Die Prophetin vom Rhein
auf. Fast gleichzeitig raubte ihm ein wütender Tritt gegen den Brustkorb den Atem.
Er glaubte, Thies’ höhnisches Gelächter zu hören. Dann umfing ihn Dunkel, rabenschwarz. Endlos.
Als er wieder zu sich kam, war er auf ein Strohlager gebettet. Jeder Atemzug stach, als sei seine Lunge gespickt mit kleinen Messern. Das rechte Ohr brannte wie die Hölle.
»Es musste der Länge nach genäht werden. Bruder Willibald, der diese Kunst im Morgenland erlernt hat, war so freundlich, sich deiner anzunehmen.« Freimuts Stimme klang erleichtert. »Noch sieht es aus wie ein dicker Rollbraten, aber das gibt sich wieder, hat er mir versprochen, sobald der Zwirn gezogen ist.« Er legte seine Stirn in komische Falten. »Ich konnte doch nicht zulassen, dass du für den Rest deiner Tage als Verbrecher gebrandmarkt bist, mein tapferes Schlitzohr!«
»Wo bin ich?«, flüsterte Gero, sein Mund eine Wüste, die Lippen rissig und aufgesprungen.
»Bei den Ebersberger Benediktinern. Zwei Tage und zwei Nächte lagst du in tiefem Schlaf, als wolltest du niemals wieder aufwachen. Inzwischen haben die frommen
Brüder mit tausenderlei verschiedenen Kräutern gegen dein Wundfieber gekämpft, und sie waren schließlich siegreich. Weißt du, dass ich große Angst um dich hatte?«
»Müsst Ihr nicht.« Allmählich konnte Gero halbwegs scharf sehen. »Ich komm schon wieder auf die Beine. Aber was ist mit Euch? Der Riese hat …«
»… mir als Andenken ein paar gebrochene Rippen hinterlassen. Die nächsten Wochen muss ich kürzertreten. Bis der Riese sich allerdings von den Küssen deines Bogens erholt haben wird, kann es Winter werden. Zum Glück waren unsere Männer doch noch rechtzeitig zur Stelle. Dank der tatkräftigen Argumente ihrer Waffen hat der Fuhrmann schließlich eingesehen, wo es ab jetzt über die Isar geht. Das werden auch die anderen Salzsender kapieren. Solche Geschichten machen schnell die Runde.« Freimut klang plötzlich sehr ernst. »Du hast dein Leben für mich aufs Spiel gesetzt. Die Jauchezinken am Hals zu spüren, hat keinen Spaß gemacht. Das war sehr mutig von dir, Gero.«
»Das würde jeder Ritter tun«, flüsterte Gero, dem das Sprechen noch nie so schwergefallen war wie heute. Doch was sein Herz bewegte, musste schließlich ja auch auf seine Zunge gelangen. »Für seinen besten Freund.«
»Dann sollte solch ein wackerer Mann nicht mehr allzu lange auf die Schwertleite warten.« Ein rötlicher Bart schwebte über Gero.
Der riss die Augen auf und blinzelte verwirrt.
Der Kaiser? Aber wie konnte das sein? Barbarossa befand sich doch gerade auf Heerfahrt in Polen, zusammen mit Herzog Heinrich und vielen anderen Großen des Reichs.
»Majestät …«, murmelte er trotzdem pflichtschuldig. »Ihr! Ist der Krieg denn schon vorbei?«
Ein tiefes, schallendes Lachen.
»Vorerst musst du leider mit mir vorliebnehmen, junger Mann«, rief Otto von Wittelsbach. »Eigentlich sollte ich mich ja durch diese Verwechslung geschmeichelt fühlen. Den roten Bart werde ich stehen lassen. Dann kann gleich jeder von fern erkennen, wie viel mich mit dem großen Friedrich verbindet.«
MAINZ - HERBST 1157
O Bater, das Lebendige Licht gab mir folgende Worte an dich: Warum verbirgst du dein Untlitz vor mir, als wäre dein herz vor Born verwirrt? Wegen der geheimnisvollen Worte, die ich nicht aus mir sage, sondern so wie ich sie im Lebendigen Licht schaue? Oft wird mir gerade das gezeigt, wonach mein herz nicht verlangt und mein Wille nicht sucht. häufig sehe ich gegen meinen Willen. Doch bitte ich Gott, dass Seine hilfe dir nicht fern sei und deine Seele so in reiner Ertenntnis sich darbiete, dass du in den Spiegel des heils schaust.
Und du wirst leben in Ewigteit …
Das hellstrahlende Licht der Gnade Gottes möge von dir nicht abgeschnitten werden, sondern die Barmherzigteit Gottes dich schützen, damit der alte Nachsteller dich nicht betrüge. Nun aber lebe dein Vuge in Gott, und die Lebenstraft deiner Seele verdorre nicht. Das Lebendige Licht sagt zu dir: Warum bist du nicht start in der Furcht vor Mir? Warum eiferst du, als wolltest du den Weizen hochworfeln, dass du dich dadurch
wegschleuderst, was dir zuwider ist? Doch das will ich nicht. Richte dich also zu Gott empor, denn deine Beit tommt schnell!
»Du hast dir schon wieder den Brief vorgenommen?« Schwester Benignas Ton klang besorgt. Um für Abwechslung zu sorgen, holte sie Brot aus dem Proviantkorb, brach ein Stück davon ab und reichte es Hildegard. Die nahm nur
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